Die Kaffeemeisterin
gelähmt, um etwas zu erwidern.
»Los, schnell, schaffen wir ihn weg!«, raunte Hans, der Halderslebens Worte mit angehört hatte, seiner Frau zu.
Rasch trat er auf Gabriel zu und packte ihn unter den Armen.
»Nimm du die Beine, Hetti!«
»Er braucht dringend einen Arzt! Jemand muss zuerst nach seiner Wunde sehen!«
Johanna wollte sie aufhalten, noch einmal mit Gabriel sprechen, seine Hand halten, in seine Augen sehen – aber der Geiger hatte die Lider geschlossen und warf leise stöhnend den Kopf hin und her.
»Wir kümmern uns um ihn, Frau Berger. Wozu sind Freunde schließlich da?«
Die Gitarristin hatte sich ihr Instrument auf den Rücken geschnallt und folgte mit Gabriels Füßen in beiden Händen ihrem Mann, der, Gabriel noch immer unter den Achseln haltend, seitwärts auf die offene Hoftür zusteuerte.
»Ich werde euch einen Karren besorgen, damit ihr ihn besser transportieren könnt!«, rief Ludwig Haldersleben dem Musiker paar von der Türschwelle aus zu. »Geht schon mal vor in Rich tung Römer!«
Kaum war auch der Kartenmacher aus Johannas Sichtweite verschwunden, fühlte sie, wie ihr von hinten jemand auf die Schulter tippte.
»Sie sind die Wirtin?«, fragte dieselbe Fistelstimme, die sie vorhin schon gehört hatte. »Frau Johanna Berger, geborene Schütz aus Bornheim?«
Johanna musste sich einen Moment besinnen, bevor sie in dem Polizeiadjutanten mit dem riesigen Federbusch auf dem Dreispitz den Pikett mit den flaumigen Haaren wiedererkannte, der sie schon wenige Wochen zuvor wegen der Kaffeeguckerin aufgesucht hatte. Über seine Schulter mit den mächtigen Epauletten hinweg konnte sie beobachten, wie zwei seiner Männer die letzten Kämpfer, die sich irgendwie noch auf den Beinen gehalten hatten, gewaltsam voneinander trennten. Ein weiterer Polizist versuchte Sybilla das Schlachtmesser aus den Händen zu winden, während er stoisch Annes Schimpftirade über sich ergehen ließ.
»Frau Berger, ich muss Sie darüber informieren, dass Sie soeben die Gerechtigkeit, das Kaffeehaus Coffeemühle am Alten Markt in Frankfurt am Main zu führen, verloren haben.«
»Was sagen Sie da?«, stammelte Johanna, die die Worte des Polizeiadjutanten nur wie durch einen dichten Nebel vernommen hatte.
»Ich sagte, Ihre Lizenz ist weg, Frau Berger!« Der Mann lächelte selbstzufrieden, als hätte er mit seiner Ansage eine große Leistung vollbracht. »Sie können ja nach der Sommerpause mal probieren, ob Sie sie wiederbekommen.«
Lieber Gott, lass das alles nur einen bösen Traum sein!, dachte Johanna. Noch vor ein paar Stunden war ihr das Leben so wundervoll vorgekommen, hatte sie ein rauschendes Fest mit ihren liebsten Freunden und Gästen gefeiert, hatte sich ver… Sie stockte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Nein, diesen Gedanken wollte sie lieber nicht zu Ende denken. Ihre Sorgen waren auch so schon groß genug. Und das, was soeben geschehen war, die Zerstörung ihrer Existenz und die ihrer Kinder, war leider alles andere als nur ein böser Traum.
Sie hob den Kopf und sah den Mann an, als nähme sie ihn jetzt erst richtig wahr.
»Nach der Sommerpause, sagten Sie?«, fragte sie mit tonloser Stimme.
Der Polizeiadjutant nickte.
»Wenn Sie Glück haben! Und gute Fürsprecher«, fügte er noch hinzu, bevor er die Hacken zusammenschlug und den Rückzug antrat.
»Und Geld«, ergänzte Johanna halblaut, als der wippende Federbusch schon um die Ecke verschwunden war.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte den dicken Kloß hinunterzuschlucken, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Das Spiel war aus. Sie war ruiniert. Sie konnte ihre Schulden nicht bezahlen. Die Besucherinnen ihres Salons würden garantiert nicht an einen Ort zurückkommen, wo ihnen die Vergewaltigung drohte. Noch war nicht klar, ob es Tote gegeben hatte. Auf jeden Fall unzählige Verletzte, einer von ihnen Gabriel Stern. Gabriel, der sie geküsst hatte. Den sie vielleicht nie mehr wieder sehen würde …
»Gott wird Sie schützen, Johanna Berger!«, vernahm sie in diesem Moment die zornbebende Stimme von Schuster Denzel neben sich.
Sie drehte sich um. Der Schuhmacher hatte die Arme ausgebreitet, als wollte er ihr seinen Segen aussprechen. Johanna ließ sich einfach fallen, gegen seine Brust, die ein wenig säuerlich roch. Unbeholfen tätschelte Gregor Denzel ihre bebenden Schultern, bis ihr Schluchzen allmählich abgeebbt war.
»Denken Sie daran, Johanna«, sagte er feierlich. »Auge um Auge, Zahn um Zahn! Das stand schon
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