Die Kaffeemeisterin
zwei kleine Sehschlitze.
Johanna hatte Mühe, ein Würgen zu unterdrücken, so angeekelt war sie vom Anblick ihres Widersachers. Doch ein erneuter Schrei der heftig um sich tretenden Bijoutiersgattin genügte, um ihre Übelkeit in Schach zu halten. Sie musste etwas tun, um der Frau zu helfen – koste es, was es wolle. Eiskalte Wut ergriff von ihr Besitz.
»Gottfried Hoffmann, du bist das mieseste Schwein, das ich je kennengelernt habe! Erst bringst du deine eigene Frau um, und dann lässt du zu, dass vor deinen Augen eine andere vergewaltigt wird.«
Noch während sich Johanna umdrehte, um der wimmernden Bijoutiersgattin zu helfen, erkannte sie, wie eine fahle Blässe in das Gesicht des Apfelweinwirtes trat. Sie wusste nicht, ob vor Zorn oder vor Erkenntnis über das, was er mit Elisabeth angerichtet hatte. Sie bemerkte nur, wie er einen Schritt vortrat, um sich auf sie zu stürzen. Schon hatte sie in einem sinnlosen Versuch, sich zu schützen, die Arme erhoben, als plötzlich Gabriel Stern zwischen ihnen stand.
»Los, Justus, hilf der Frau auf dem Sofa! Ich übernehme das hier!«
Er schenkte Johanna ein beruhigendes Lächeln und bedeutete ihr mit einer raschen Geste, sich in Sicherheit zu bringen. Währenddessen war er nicht aus der Bewegung geraten. Permanent von einem Bein auf das andere hüpfend, die Hände dicht vor seinem Gesicht, ließ er jeden Finger einzeln in rasendem Tempo auf- und abflattern und baute sich vor dem viel größeren und massigeren Apfelweinbrauer auf.
»Gabriel!«
Johanna schluchzte auf; sie wusste selbst nicht, ob vor Angst oder Erleichterung. Genauso gebannt wie Gottfried Hoffmann verfolgte sie die Bewegungen des Geigers, der den Apfelweinwirt mit seiner ungewöhnlichen Kampftechnik völlig durcheinander brachte. Schon hatte Hoffmann sich einen Tritt in den Bauch eingefangen, schon einen Boxhieb auf die Nase. Wann immer er versuchte, Gabriels Schläge zu parieren, haute er ins Leere und drohte das Gleichgewicht zu verlieren.
»Die Sau hat heute zum letzten Mal eine Frau angepackt!«, hörte Johanna nach einer gefühlten Ewigkeit, die sie Zeugin des seltsamen Zweikampfs zwischen dem alerten Geiger und dem behäbigen Koloss Gottfried Hoffmann geworden war, Justus von Zimmer voller Genugtuung rufen.
Ein dumpfer Schlag und ein Aufprall folgten den Worten des Schultheißneffen, und sie konnte sehen, wie der Riese, der sich an der Bijoutiersgattin vergriffen hatte, in hohem Bogen aus dem Fenster flog.
Auch Gabriel schien für Sekunden abgelenkt gewesen zu sein. Kaum hatte Johanna den Kopf wieder in seine Richtung gewandt, gewahrte sie ein kurzes Aufblitzen in der Luft und dann nur noch Gabriels erstaunten Gesichtsausdruck, der sich langsam in eine schmerzverzerrte Grimasse verwandelte. Wortlos sank der Geiger zu Boden, beide Hände um die Sichel gefasst, die in seiner Brust steckte. Dunkles Blut sickerte aus der Wunde unterhalb seines Herzens.
Ohne auf Gottfried Hoffmann zu achten, stürzte Johanna auf den Verletzten zu.
»Gabriel, um Himmels willen! Was hat dieser Kerl mit dir angestellt?«
»Johanna«, murmelte der Geiger schwach und blickte sie aus seinen dunklen Augen an. »Zieh das Ding aus meiner Brust, bitte, mach schnell!«
»Aber … Wie soll ich …?«, brachte sie hervor. »Ich kann das nicht, Gabriel! Ich habe so etwas noch nie gemacht. Es wird sicher alles noch viel schlimmer, wenn ich jetzt …«
Johanna hatte sich selten in ihrem Leben so hilflos gefühlt. Verzweifelt sah sie sich um. Wo waren die anderen, warum half ihr denn niemand? Sie wusste doch nicht, wie man einen Menschen behandelte, der womöglich lebensgefährlich verletzt war! Wenn sie Gabriel jetzt die Sichel aus der Brust zog, würde die Wunde dann nicht noch mehr zu bluten anfangen?
»Die Wunde ist nicht so tief, Johanna, glaub mir!«, beruhigte sie der Geiger. Er flüsterte jetzt nur noch. Trotzdem klang seine Stimme ermutigend. »Ich habe immerhin ein Jahr Medizin studiert, ich kenne mich mit so was aus. Reiß ein Stück Stoff von deinem Kleid ab und wickel es mir fest um die Brust. Das wird den Blutfluss anhalten.«
Johanna zögerte nicht länger und tat, wie ihr geheißen. Vorsichtig half sie Gabriel, sich aus seinem zerfetzten Hemd zu befreien. Eine Welle von nie gekannter Zärtlichkeit überschwemm te sie, als ihre Finger die glatte Haut seines Oberkörpers streiften. Doch für so etwas war jetzt keine Zeit, riss sie sich sofort zusammen. Behutsam zog sie das spitze Werkzeug aus Gabriels Brust.
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