Die Kaffeemeisterin
zögerlichen Blick über die Gästeschaft, um schließlich die großen Steintöpfe mit den Stechpalmen zu umrunden und sich zu den beiden an den Tisch zu setzen. Dann erst drehte er den Kopf zu ihr, Johanna, die die ganze Zeit wie angewurzelt stehen geblieben war, und bestellte mit leiser Stimme einen caffè lungo .
A ls Johanna Stunden später todmüde und mit bleischweren Gliedern in ihrem Bett lag, wusste sie nicht mehr, wie sie die zweite Hälfte des Tages überstanden hatte. Aber noch viel weniger wusste sie, wie sie die kommende Nacht überstehen sollte. Denn eines war sicher: Sie würde wieder von Gabriel träumen in dieser Nacht, genau wie in all den anderen Nächten nach ihrer schicksalhaften letzten Begegnung in Frankfurt, ja noch während der ersten Wochen in Italien. Von Gabriel, den sie endlich aus ihren Gedanken gedrängt, den sie vor lauter Arbeit und neuen Eindrücken schon fast vergessen zu haben glaubte – bis der Maestro plötzlich vor ihr gestanden hatte und sie schlagartig von der Erkenntnis getroffen wurde, mit diesen Bemühungen noch kein Stück vorangekommen zu sein.
Was soll ich bloß tun, dachte sie mit tränennassen Wangen, um diesen Mann, der nicht für mich bestimmt ist, ein für alle Male aus meinem Herzen zu verbannen? Es kann doch nicht angehen, dass ich den Rest meines Lebens hinter ihm hertrauere!
Erst lange, nachdem die Kerze auf dem Nachttisch in ihrer kargen Dachkammer heruntergebrannt war, schlief sie endlich ein. Und tatsächlich verfiel sie wieder in jenen Traum, der sie so lange verfolgt hatte, dass er ihr in seiner bitteren Süße schon fast wie ein Albtraum vorgekommen war: Gabriel und sie am Main, eingehüllt von Musik und dem Rauschen des Frühlingsregens.
13. KAPITEL
S orellina , was machst du denn schon wieder für ein Gesicht? Das kann man ja kaum mehr mit ansehen! Was ist los, dass du seit Tagen herumläufst, als wäre deine Großmutter gestorben – dimmi, cara , welche fette, stinkende Laus ist dir über die Leber gelaufen? Ich werde sie zerquetschen, mit beiden Händen, so – schau!«
Gegen ihren Willen musste Johanna lachen, als Tullio vor ihren Augen ein blau kariertes Küchenhandtuch zu malträtieren begann, so als hielte er eine riesige Laus zwischen den Händen, die er um ihrer Seelenheil willen beseitigen wollte. Sie schob sich mit dem Unterarm die Haarsträhnen aus dem Gesicht, um sich weiter dem Kurbeln der alten Rösttrommel zu widmen. Schweiß stand ihr auf der Stirn, die Kleidung klebte an ihrem Körper, und sie hatte das Gefühl, dass ihr Gesicht knallrot war vor Anstrengung. Auch wenn die Francesconis und ihre venezianischen Kollegen, was ihre Gerätschaften zum Mahlen und Brühen von Kaffee betraf, den Frankfurtern weit überlegen waren – von den unzähligen Arten, das Getränk zuzubereiten, einmal ganz zu schweigen –, hatten auch sie noch keine befriedigende Lösung gefunden, wie man sich die kräftezehrende Rösterei ersparen konnte.
»Also, sag schon, wer ist es, der dir deine gute Laune so nachhaltig verdorben hat?«, beharrte Tullio und schaute sie beinah angriffslustig an.
Johanna wusste, dass es jetzt keinen Zweck mehr hatte, nach weiteren Ausflüchten zu suchen. In den Wochen und Monaten, die sie jetzt schon bei den Francesconis lebte, hatte sie den jungen Tullio erstaunlich gut kennengelernt. Letztlich war dies auch nicht wirklich schwierig gewesen, räumte sie in Gedanken ein, denn Tullio war sehr offen und sagte stets geradeheraus, was er dachte. Er sah zwar aus wie ein Mann, mit seinen breiten Schultern und den langen Beinen, die wie bei den Gondolieri meist in engen, schlammfarbenen Kniebundhosen steckten, und dem länglichen Windhundgesicht, das halb von fransigen Haaren verdeckt war, doch in der Regel benahm er sich wie ein kleiner Junge. Schon vom ersten Tag an hatte sie in ihm eine Art jüngeren Bruder gesehen und ihn bald auch – zu seinem lautstark geäußerten Verdruss – ihren fratellino genannt, während er noch versucht hatte, sich vor ihr aufzuspielen und sie mit seinen Ridotto -Siegen zu beeindrucken. Irgendwann hatte er begriffen, dass sie sich nicht für ihn als Mann interessierte, und ab dem Zeitpunkt waren sie unter den wohlwollenden Blicken von Tullios mamma , die zunächst etwas besorgt gewirkt hatte, die allerbesten Freunde geworden.
»Meinetwegen, wenn du es wirklich wissen willst …«
Da an diesem regnerischen Nachmittag im Caffè Florian kaum Betrieb war, erzählte sie ihm, dass sie auf der Flucht
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