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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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ebenfalls der Schweiß auf der Stirn stand, während sie damit beschäftigt war, den Inhalt des funkelnden kleinen Kaffeekochtopfs vorsichtig in sechs winzige Tässchen auf einem Tablett umzufüllen, das Johanna gleich nach draußen auf die Terrasse des beliebtesten Kaffeehauses von ganz Venedig tragen sollte. Dass es noch einmal so warm im Jahr werden würde, damit hätte wirklich keiner gerechnet. Eigentlich hatten sie die Terrassenmöbel schon längst einpacken wollen, um sie über die kalten Wintertage einzulagern, da war die Sonne kurz vor Allerheiligen noch einmal hinter den dichten Nebelwolken hervorgekommen, die seit Tagen über der Lagune gehangen hatten. Nun schien sie schon seit einer knappen Woche so heiß vom knallblauen Himmel herunter, als wollte sie den Frühling einläuten.
    Johanna warf einen sehnsuchtsvollen Blick über die Piazza in Richtung Basilika. Wo Floriano und Tullio wohl abblieben? Sie hätten schon längst zurück sein sollen, um Giuseppina und sie abzulösen. Oder um ihnen zumindest unter die Arme zu greifen. Wahrscheinlich waren sie wieder im Ridotto hängen geblieben, das musste es sein.
    Dass Floriano der Spielsucht erlegen war, hatte Johanna schon gleich nach ihrer Ankunft bei den Francesconis vor gut einem halben Jahr festgestellt. Sie hatte gar keine Erklärung gebraucht für Giuseppinas merkwürdiges Verhalten am ersten Tag, als sie sie gebeten hatte, bloß nicht über Geld zu reden. Sie hatte dann auch nur Marcello gegenüber ihre Hoffnung erwähnt, dass Floriano ihr finanziell unter die Arme greifen würde, damit sie sogleich wieder ihre Rückreise antreten könnte. Entsetzt hatte der Zauberer sie angesehen und geantwortet: »Floriano und Giuseppina versinken in Schulden!« Ihr war nichts anderes eingefallen, als tagein, tagaus Kaffee zu servieren, um wenigstens irgendwann das Geld für die Rückfahrt zusammenzubekommen.
    Mit seiner Spielsucht bildete Floriano wahrlich keine Ausnahme unter den Venezianern, auch zahlreiche seiner Gäste widmeten sich leidenschaftlich gerne Faro, Bassetta oder Biribiss. Wenn Giuseppina bei ihrer Mutter in Mira war und nur noch ein paar Stammgäste sein Kaffeehaus bevölkerten, schloss Floriano nach der Sperrstunde manchmal einfach die Fensterläden und verwandelte das Florian in ein Casino. Er wusste durchaus, welches Risiko er damit einging – auf das Betreiben einer privaten Glücksspielstätte standen drakonische Strafen, und die Inquisitoren hatten überall ihre Schnüffler. Aber er konnte es einfach nicht lassen, zu groß war sein Vergnügen an diesem seinem »einzigen Laster«, wie er immer wieder treuherzig betonte, wenn Johanna als lizenzlose Kaffeehausbesitzerin ihm seinen Leichtsinn vorhielt. Es stimmte, der gutmütige, dickliche Floriano hatte wirklich kein anderes Laster als seine Spielleidenschaft – wenn man von seiner offensichtlichen Schwäche für das weibliche Geschlecht einmal absah. Und er hatte sie an jenem Maitag, der ihr schon so lange her zu sein schien, mit buchstäblich offenen Armen empfangen und sie sofort in seinen Haushalt und seinen Betrieb integriert, als hätte er geradezu auf ihr Kommen gewartet. Schon nach zwei Tagen hatte er sie »figlia mia« genannt, sie liebevoll in die Wangen gezwickt, wann immer sie ihm über den Weg lief, und sie im Übrigen genauso behandelt wie seinen achtzehnjährigen Sohn Tullio. Mit Giuseppina war es nicht anders gewesen; sie drückte Johanna bei jeder Gelegenheit liebevoll an ihren großen Busen und versuchte sie mit ihrer sensationellen Kochkunst um jeden Preis zu mästen. Was ihr in Ansätzen auch schon gelungen war; bereits nach zehn Tagen hatte Johanna das Gefühl gehabt, aus allen Nähten zu krachen und bald selbst über ein solch üppiges Dekolleté wie Giuseppina zu verfügen. Was sie nicht wirklich bedauerte, wie sie sich eingestehen musste. Auch die vielen Sommersprossen, die die venezianische Sonne auf ihr blasses Gesicht gezaubert hatte, gefielen ihr plötzlich viel besser als sonst in Frankfurt. Sie trug ihr Haar jetzt auch anders, hochgetürmt und mit bunten Bändern, Perlen und Spangen verziert, wie es bei den Venezianerinnen üblich war. Trotzdem wurde sie immer wieder als Fremde erkannt, da konnte sie noch so gut Italienisch sprechen.
    Johannas Blick fiel in einen der großen, leicht angelaufenen Spiegel, die mit ihren goldverschnörkelten Rahmen die Wände des Florian zierten, während sie mit dem Tablett mit den sechs Espressotässchen in der einen Hand und einem

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