Die Kaffeemeisterin
interessierte sich er, der höchstwahrscheinlich aus einer der großen venezianischen Adelsfamilien stammte, für eine schlichte Magd, die ihm den Kaffee servierte? Denn mehr konnte sie doch in seinen Augen nicht sein. Er wusste ja nicht, dass sie eigentlich selbst ein Kaffeehaus besaß – oder vielmehr: besessen hatte. Sie schluckte bitter bei dem Gedanken an die verlorene Gerechtigkeit. Aber selbst wenn er es wüsste, das änderte nicht das Geringste an der Situation: Die Standesunterschiede zwischen ihnen blieben bestehen. Außerdem hatte sie es sich schon in Frankfurt zum Grundsatz gemacht, sich nie näher mit ihren Gästen einzulassen – von einigen lieb gewonnenen Ausnahmen wie den Halderslebens oder Schuhmacher Denzel einmal abgesehen.
Ruckartig zog sie ihren Arm zurück. Der Mann sah sie an. Erstaunen und eine leichte Verärgerung mischten sich in seinem Blick.
»Tut mir leid, Eccelenza , ich habe keine Zeit, ich muss …«
Johanna brach ab. Sie merkte selbst, wie lächerlich ihre Worte klangen. Das Lokal war menschenleer. Nur Tullio stand hinten bei der Theke und tat so, als würde er in dem großen Marmormörser Kaffeebohnen zerstoßen. Sie konnte sich vorstellen, dass er sich innerlich die Hände rieb und die Ohren gespitzt hatte wie zwei Kreidestifte.
»Wovor hast du Angst, Giovanna?«, fragte der Mann sanft.
Ohne sie anzuschauen, schenkte er Wein in die beiden Gläser und schob ihr eines zu.
»Bitte, setz dich doch!«
Johanna zögerte einen Moment. Langsam nahm sie schließlich ihre Schürze ab. Zum Glück war Floriano mit Giuseppina bei der Schwiegermutter, dachte sie unwillkürlich. Zwei weitere wachsame Beobachter dieser Szene neben Tullio hätten ihr gerade noch gefehlt. Zumal sie wusste, dass die beiden alten Francesconis ihren Grundsatz teilten, niemals zu viel Umgang mit den Gästen zu pflegen, einmal mehr, wenn sie von höherem Stand waren.
»Auf Ihr Wohl!«
Der Mann lachte, als wäre er erleichtert, dass sie sich umentschieden hatte, und hielt ihr sein Glas zum Anstoßen hin.
Ja, wovor hatte sie eigentlich Angst?, fragte sich Johanna, während sie ihr Glas gegen das seine klingen ließ. Der Conte war nicht mehr jung, aber er sah auch nicht so aus wie jemand, der mutwillig Frauen verführte, um sie dann ins Unglück zu stürzen. Eine gewisse Unbeholfenheit ging von ihm aus, als er sie jetzt noch einmal bat, ihm ihre Geschichte zu erzählen.
Erst als sich der Conte nach über einer Stunde von ihr verabschiedete, die sie in einem angeregten Gespräch über Gott und die Welt miteinander verbracht hatten, dachte Johanna über das nach, was Tullio zu ihr gesagt hatte: Sie solle sich einen neuen Mann suchen, der sie von ihrer alten unglücklichen Liebe ablenke. Einen Mann mit Geld und Stil.
Stil hatte der Conte, keine Frage, dachte sie bei sich. Während sie langsam den Tisch mit den Gläsern und der Karaffe abräumte, die sie gemeinsam mit dem Gast geleert hatte, verlor sich ihr Blick nach draußen zur Piazza hin. Hinter der mit langen Regenschlieren bedeckten Fensterscheibe waren nur einige wenige dahineilende Passanten in langen schwarzen Capes zu sehen. Der Conte sah gut aus, war klug und lebenserfahren. Und Geld hatte er auch, gestand sie sich schließlich fast gegen ihren Willen ein. Und zwar offensichtlich so viel, dass er ihr womöglich sogar etwas davon abgeben könnte …
14. KAPITEL
S taunend blickte Johanna sich um. So viel Prunk auf einmal hatte sie noch nie gesehen. All das Gold und Purpurrot um sie herum! Und dann erst die Kleider der Damen! Farben über Farben – sogar die Honoratioren hatten ihre schwarzen tabarri heute durch bunte Mäntel eingetauscht. Auch Giuseppina neben ihr, die noch nie eine Opernvorstellung besucht hatte, war hingerissen von dem Schauspiel, das sich ihren Augen bot. Sie alle waren auf Einladung des Conte hier. »Was ist nur in ihn gefahren?«, hatte Giuseppina verdutzt gefragt, als sie von der Einladung gehört hatte. Aber natürlich hatte sie die Gelegenheit wahrgenommen, genauso wie Marcello. Tullio hatte anzüglich gekichert, und Floriano fand, dass er solchen »Weiberkram« nicht sehen wollte.
Von ihrem Platz ganz links außen auf der Empore konnte Johanna sowohl aus nächster Nähe auf die Bühne gucken als auch fast den gesamten Zuschauerraum überblicken. Auf den Stehplätzen unter ihr herrschte reges Gewimmel. Zahlreiche Gondolieri waren gekommen, um sich die Uraufführung von Adolf Hasses neuestem Werk Demetrio anzuschauen. Johanna
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