Die Kaffeemeisterin
Teller Cappuccinotörtchen in der anderen durch den Gastraum auf die Terrasse eilte. Sie sah eine hübsche rothaarige Frau mit glühenden Wangen und einem hellblauen Kleid unter einer weißen Schürze vorbeieilen, die nur sie selbst sein konnte. Ja, sie hatte sich wirklich zu ihrem Vorteil verändert, dachte sie zufrieden. Sogar die Fältchen um ihre Augen waren verschwunden, und ihre, wie sie fand, etwas zu große und spitze Nase und der eine schiefe Schneidezahn störten sie jetzt nicht mehr. Es ging ihr ja auch gut – jetzt erst recht, da sie endlich Nachricht von zu Hause bekommen hatte, da nach Monaten Postweg Elisabeths Brief eingetroffen war, in dem die Freundin alle ihre Sorgen zu zerstreuen gewusst hatte. Den Mädchen gehe es gut und ihr auch, hatte Elisabeth Ludwig Haldersleben in die Feder diktiert, weil sie selbst nicht schreiben konnte. Sie lebten auf dem Hof von Jo hannas älterem Bruder Simon, die Familie würde ihnen unter die Arme greifen, wo sie nur könnte, die alten Freunde wie die Halderslebens und Schuster Denzel auch, während sich Gottfried Hoffmann entgegen aller Befürchtungen kein einziges Mal habe blicken lassen. Margarethe und Lili würden kräftig mit anpacken und seien sowieso schon fast erwachsen, und Margarethe kommandiere alle kräftig herum. Sie solle ruhig in Venedig bleiben, hatte Elisabeth ihre Zeilen geschlossen, sie kämen schon noch eine Weile ohne sie zurecht.
Was sie, Johanna, sich nicht zweimal hatte sagen lassen. Zum einen, weil sie noch lange nicht genug Geld zusammengespart hatte, um ihre Rückreise nach Frankfurt zu bezahlen – ganz zu schweigen von der Renovierung der Coffeemühle , dem Rückkauf ihrer Gerechtigkeit und dem Abtragen ihres Schuldenbergs. Und zum anderen, weil sie spürte, dass jeder weitere Tag, den sie in dem wunderschönen Venedig verbrachte, bei ihrer »famiglia nuova« , wie Giuseppina so gern erklärte, sie innerlich ein Stückchen weiter von Gabriel Stern entfernte. Ja, der Geiger hatte ihre Gedanken mehr beherrscht, als sie sich je hätte träumen lassen. Anfangs hatte sie – nach einer gewissen Eingewöhnungszeit, in der sie all das Neue zunächst hatte verarbeiten müssen – noch in jeder freien Minute an ihn gedacht, in jedem zweiten jüngeren Italiener seine Gestalt zu erblicken geglaubt, ihre letzte Begegnung beim Eröffnungsfest des Damensalons wieder und wieder vor ihrem geistigen Auge heraufbeschworen. Aber allmählich war die Erinnerung an ihn doch in den Hintergrund getreten. Es war schon gut so, dass sie den Kopf endlich wieder frei hatte. Zumal es ja auch in Venedig durchaus interessante Männer gab, lächelte sie in sich hinein, als sie im Vorbeieilen an einem der Kaffeehaustische ein dunkles, scharf geschnittenes Männergesicht bemerkte, das mit einem halb amüsierten, halb interessierten Ausdruck in ihre Richtung gewandt war.
Der Gast saß wie jeden Tag um die Mittagszeit am Fenster, das auf den Markusplatz hinausging. Er war neben ein paar älteren Herren, die auf der anderen Seite des Korridors saßen, der Einzige im Innenraum des Kaffeehauses. Die übrigen Gäste zogen den Sonnenschein draußen auf der Terrasse vor. Johanna wusste von dem eleganten, nicht mehr ganz jungen Mann lediglich, dass er eine hochgestellte Persönlichkeit im Maggior Consiglio und damit von adeliger Herkunft sein musste, so viel sagte ihr sein Habit, der tabarro mit Dreispitz und Degen. Sie hatte, abgesehen von seinen Bestellungen – meist ein Glas bianco di Custoza und ein Fischgericht sowie ein caffè doppio statt eines Nachtischs –, noch nie mit ihm gesprochen, wie sie es häufig mit den anderen Gästen tat. Dafür waren seine Blicke, mit denen er jeden ihrer Schritte verfolgte, wenn er nicht gerade in seine Papiere vertieft war, umso beredter. Seine dunklen, brennenden Augen schienen sie manchmal regelrecht verschlingen zu wollen, und doch fürchtete Johanna sich nicht vor ihm. Was wohl mit ihm war?, fragte sie sich oft, er sah so verloren aus. Obwohl er große Macht und sicher viel Geld besaß. Auch Giuseppina hatte ihr keine Antwort auf ihre Frage nach dem seltsamen Fremden geben können. Lediglich Marcello hatte eine finstere Bemerkung in seinen Bart gemurmelt, als er ihn bei einem seiner Kaffeehausbesuche zufällig einmal an seinem Stammplatz entdeckt hatte. Johanna hatte »Was hast du gesagt, Marcello?« gerufen, doch der Zauberer hatte nur energisch abgewunken, und sie hatte nicht gewagt, weiter nachzubohren.
Als sie nun nach draußen
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