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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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heraus.
    Der Mann, dem er gerade das Leben gerettet hatte, war einer der Wasserträger der Judengasse, der auf jeder Seite der quer über seine Schultern gelegten Holzstange vier volle Eimer transportiert hatte. Die Gefäße lagen nun genauso im Dreck wie die durchsichtigen Schneekristalle. Das Wasser suchte sich seinen Weg zur Abflussrinne in der Straßenmitte. Der Wasserträger war schon wieder aufgesprungen und hatte den Arm mit der geballten Faust kampfeslustig erhoben, als ihm klar wurde, was da gerade geschehen war.
    »Danke«, stammelte er nur und ließ den Arm sinken.
    »Das war knapp! Da haben Sie wirklich Glück gehabt«, bemerkte eine vorbeigehende Magd mit einem Reisigbündel auf dem Rücken.
    Mit weichen Knien setzte der Geiger seinen Weg fort. Immerhin wusste er jetzt, was er zu tun hatte; der Schock, um ein Haar von einem banalen Eiszapfen erschlagen worden zu sein, hatte ihn aus seiner geistigen Erstarrung geholt. Immer schnel ler, mit weit ausholenden Schritten bewegte er sich aus der Ju dengasse hinaus in Richtung Alter Markt.
    Vor der Coffeemühle hatte jemand den Schnee zu ordentlichen Matschbergen zusammengeschoben. Doch die Fensterläden waren geschlossen, und neben der Eingangstür lag unter einer Schneeschicht ein großer Schutthaufen. Das Haus, das einst so prächtig auf ihn gewirkt hatte, machte einen vernachlässigten Eindruck. Ganz offensichtlich wohnte hier niemand mehr. Der mittlere Fensterladen, der bei der Prügelei mit Gottfried Hoffmann und seinen Schergen aus den Angeln gerissen worden war, hing noch immer schief herunter. Auch die Scheibe dahinter hatte man nicht ersetzt, sondern sie nur notdürftig mit ein paar Holzlatten vernagelt. Johannas Ladenschild, die an einer Kette baumelnde, im Wind schaukelnde Zinnkanne, war verschwunden.
    »Eine Schande ist das!«, sagte ein Mann in einem langen Pelz mantel zu seiner Frau, die ihn mit verbissenem Gesichtsausdruck von dem Schutthaufen wegziehen wollte.
    Wer wohl den Schnee zusammengeschoben hatte?, fragte sich Gabriel unwillkürlich, der vor dem Haus stehen geblieben war und traurig die geschundene Fassade musterte. Dass Johanna zurückgekehrt war, schied wirklich aus – sie hätte schon längst dafür gesorgt, dass die Coffeemühle zumindest notdürftig wiederhergestellt worden wäre. Nein, es musste jemand aus der Nachbarschaft gewesen sein, vermutlich der Kartenmacher, fiel ihm ein. Ludwig Haldersleben hatte sich auch sonst immer um die Kaffeehauswirtin und ihre Belange gekümmert. Sogar um ihn, Gabriel, hatte er sich gesorgt, erinnerte sich der Geiger; er hatte Hans und Hetti doch an jenem Unglückstag seinen Karren geliehen, damit sie ihn schnell und sicher aus dem Schussfeld bringen konnten.
    Kurz entschlossen überquerte er die kleine Gasse und öffnete die Ladentür des Kartenmachers. Hier wusste man über Johannas Verbleib bestimmt Bescheid, dachte er. Das Bimmeln des Türglöckchens wurde übertönt von den Kratzgeräuschen, die aus der Werkstatt im hinteren Teil des Ladens kamen. Durch die Zimmerflucht hindurch konnte Gabriel zwei Kupferstecher sehen, die an ihren Arbeitsbänken entlang der breiten Fensterfront saßen und vorsichtig mit ihren langen, spitzen Werkzeugen Linien auf den Platten zogen.
    Er trat seine Galoschen an der Fußmatte ab und wandte den Kopf nach links. In dem angrenzenden kleinen Raum erkannte er eine Druckerpresse, an der zwei Männer arbeiteten. Einer sah aus wie Johannas Gehilfe Schosch. Dicht unter der Zimmerdecke waren mehrere Seile gespannt, auf denen große Papiere zum Trocknen ausgebreitet lagen.
    Ludwig Haldersleben stand auf der rechten Seite der Eingangstür hinter einer dunklen Theke und unterhielt sich mit einer auffällig farbenfroh gekleideten Frau. Ein hohes Regal ragte hinter ihm auf, in dem sich zahlreiche, unterschiedlich lange Fernrohre und allerlei Messgeräte befanden. Gabriel meinte einen Jakobsstab für die Winkelmessung und Abstandsbestimmung zu erkennen und einen geometrischen Quadranten. An den anderen drei Wänden hingen grün-gelb-rosa kolorierte Weltkarten und Merian’sche Stadtansichten von Basel, Heidelberg und Frankfurt, alle in Passepartouts gerahmt. In der Mitte des Raums thronte ein großer Globus auf einem Ständer. Und auf einem hohen Tischchen am Fenster lag ein aufgeschlagener Atlas. Der Geiger konnte einen Blick auf den amerikanischen Kontinent erhaschen. Die Seitenränder waren verziert mit Wasserschlangen und Seeungeheuern. Gegen das Tischchen lehnten ein paar

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