Die Kaffeemeisterin
er wollte, dass sie seine Frau wurde. War es das, was er ihr gerade zu sagen versuchte?
»Giovanna!«
Verärgerung, weil sie nichts erwiderte, aber auch Angst lagen in seiner Stimme. Sein Griff verstärkte sich um ihre Hand.
Was sollte sie ihm denn sagen? Dass sie nicht seine Frau werden wollte? Nicht werden konnte, weil sie einen anderen liebte? Noch immer liebte? Den ganzen Rest ihres Lebens lieben würde?
Mit einer Klarheit, die fast etwas Gespenstisches an sich hatte, stand mit einem Mal Gabriels Bild vor ihrem inneren Auge. Gabriel mit windzerzaustem Haar, der seine Geige vor dem Regenguss an der Mainbrücke rettete; Gabriel im Damensalon der Coffeemühle , der mit seiner Musik die Anwesenden zum Schmelzen brachte; Gabriel, der so dicht hinter ihr stand, dass sie die Hitze seiner Haut durch den Kleiderstoff spürte; Gabriel, schwer verwundet und leichenblass, der ihr Gesicht zu sich heranzog, um sie zu küssen … Nein, dieses überwältigende Gefühl, dieses maßlose Vertrauen, diese innige Verbundenheit – so etwas hatte sie bei Andrea nie gespürt. Leidenschaft, gewiss, und große Zuneigung, ja vielleicht hätte es auch Liebe werden können, wenn ihr Herz nicht schon unumstößlich einem anderen gehört hätte.
Behutsam klappte sie das kleine schwarze Kästchen wieder zu und schloss die Finger des Conte darum, der ihre Hand endlich freigegeben hatte.
Doch war es wirklich richtig, was sie da tat? Als wäre es jemand anderes, der sich in ihrer Lage befand, betrachtete sich Johanna plötzlich wie aus weiter Ferne mit dem kalten, nüchternen Blick eines Außenstehenden. Konnte sie es sich überhaupt leisten, einen solchen Antrag auszuschlagen? Der Conte war so reich, dass er ihr sicher sofort das Geld geben würde, das sie so dringend benötigte, wenn sie ihn darum bäte. Ja, sie könnte Tullio mit dem Geld nach Frankfurt schicken, Elisabeth bitten, sich um alles zu kümmern, damit das Kaffeehaus seine Pforten wieder öffnen konnte, und den Mädchen weiterhin eine gute Ersatzmutter zu sein, während sie hier in Venedig an der Seite Andrea Giustinians das Leben einer großen Dame führte. Wenn sie erst einmal seine rechtmäßige Frau und damit eine waschechte Contessa wäre, würden auch die arroganten Damen der Venezianer Gesellschaft sie nicht mehr wie Luft behandeln und hinter ihrem Rücken über sie lästern. Und auch auf den Frankfurter Rat würde ein solcher Titel sicher Eindruck machen, sodass es niemand mehr wagen würde, ihr irgendwelche Steine in den Weg zu legen. Selbst Gottfried Hoffmann würde sich vermutlich davor hüten, jemals wieder gegen sie zu intrigieren.
»Andrea, lieber Andrea …«, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme. Sie hatte die Stirn in die Hand gepresst und die Augen auf den Tisch geheftet. Tullio hatte nicht nur den Löffel verges sen abzuräumen, er hatte auch die Platte nicht abgewischt, regist rierte sie beiläufig. »Andrea, verzeih mir bitte! Ich weiß, dass ich einen Fehler mache – vielleicht den größten Fehler meines Lebens. Aber es geht einfach nicht. Ich kann nicht anders …«
Als sie wieder aufschaute, war der Conte schon zur Tür hinausgegangen. Sie sah nur noch seinen gebeugten Rücken, als er im strömenden Regen über die schmalen Planken auf den Dogenpalast zueilte. Das schwarze Kästchen hatte er mitgenommen.
16. KAPITEL
S chon seit einer ganzen Weile starrte Gabriel auf das kleine Ölporträt. Obwohl es noch früh am Nachmittag war, hatten sie eine Kerze anzünden müssen, so dunkel war es in dem Zimmer. Das weit in die Gasse überhängende Vordach des gegenüberliegenden Hauses versperrte dem wenigen Licht, das der Wintertag bereithielt, den Einlass in die Stern’sche gute Stube.
»Nun, was denkst du?«, fragte seine Mutter und blickte von ihrer Stickarbeit auf.
Sie saß in einem Sessel nahe am zugigen Fenster und verzierte die Manschetten einer dunklen Bluse mit einem hellgrauen Kreuzstich.
»Du verdirbst dir noch die Augen, Mutter«, sagte Gabriel zum hundertsten Male.
»Ach was!«
Ungeduldig legte Esther Stern die Bluse auf ihren Schoß, streckte den Arm aus und nahm dem am Tisch sitzenden Gabriel das Bild aus der Hand. Um es noch besser betrachten zu können, stand sie auf und hielt das Porträt mit dem schlichten Holzrahmen näher an die Bienenwachskerze.
»Sie ist hübsch«, war alles, was ihm dazu einfiel.
Er hatte Rachel Lazarus, die mit ihrer Familie in Worms lebte, noch niemals zu Gesicht bekommen und auch nie zuvor von ihr
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