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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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sein üblicher Widerwille gegen jede Art von Bevormundung. Und natürlich hatte sie recht, es steckte mehr dahinter. Genauer gesagt: Es steckte eine andere Frau dahinter. Die er einfach nicht aus seinen Gedanken verbannen konnte, trotz aller Bemühungen.
    Johanna Berger – seit einem Dreivierteljahr hatte er sie nun schon nicht mehr gesehen. Und auch nichts von ihr gehört. Und dennoch! Von Jehuda wusste er, dass die Kaffeehauswirtin wenige Tage nach den schrecklichen Vorkommnissen in der Coffeemühle fluchtartig nach Italien aufgebrochen war und dass ihre Freundin Elisabeth mit den beiden Mädchen in Bornheim bei Johannas Familie lebte. Das war alles, was er wusste. Er hatte sich auch nicht bemüht, mehr in Erfahrung zu bringen. Zuerst war er viel zu geschwächt gewesen von der Verletzung, die Gottfried Hoffmann ihm beigebracht hatte, und dem Blutverlust. Und dann war er irgendwann zu der Erkenntnis gekommen, es sei wahrscheinlich besser für ihn, wenn er nicht wüsste, was mit Johanna Berger war, denn nur so würde er sie vielleicht eines Tages vergessen können. Sie war ja doch unerreichbar für ihn. Aber bevor er jetzt einwilligte, dieses Mädchen aus Worms zu heiraten, wollte er doch herausbekommen, was die Bergerin so tat. Ja, zumindest wissen wollte er es. Ohne dass er daraus irgendwelche Schlüsse ziehen würde. Womöglich war sie ja in der Zwischenzeit zurückgekehrt? Nein, davon hätte er sicher gehört. Oder sie selbst hätte über Jehuda den Kontakt zu ihm gesucht.
    Hätte sie das wirklich? Gabriel Stern blieb mitten auf der Straße stehen. Es gab so vieles, was dagegensprach. Nicht zuletzt ihre Gefühle. Wer sagte ihm denn, dass sie genauso empfunden hatte wie er? Für ihn hatte die Welt stillgestanden, als sich Johanna Berger mitten in dem wilden Schlachtgetümmel in der Coffeemühle über ihn gebeugt hatte, um ihm den Verband anzulegen; er hatte alles um sich herum vergessen, die Schmerzen, den Dreck und den Krach, ja sogar die Gefahr, entdeckt zu werden – einfach alles! Er hatte nur ihr Gesicht vor sich gesehen, ihr wunder schönes Gesicht, und ihre Augen, in denen sich die Angst um ihn gespiegelt hatte. Er hatte sie einfach küssen müssen in diesem Augenblick! Und sie hatte seinen Kuss erwidert, ganz eindeutig!
    Mit einem Mal hatte er das Gefühl, den sanften Druck ihrer Lippen wie damals wieder auf den seinen zu fühlen, zu spüren, wie ihr Herz dicht neben seinem eigenen klopfte, schnell und hef tig. Er taumelte und musste einen Schritt zur Seite machen, um nicht in den Schneematsch zu fallen. Verdammt, was war das? Schon seit Monaten hatte er nicht mehr so an sie gedacht, nicht mehr ihre Anwesenheit förmlich zu spüren vermeint. Anfangs ja, spätestens wenn er abends im Bett gelegen und nicht hatte einschlafen können. Wie ein Geist war sie ihm erschienen, aber wie ein guter, schöner, unglaublich verführerischer Geist in einem langen weißen Nachthemd, das er ihr in seinen Träumen dann stets recht bald über die Schultern gestreift hatte! Vielleicht war sein Sehnen nach ihr ja so stark gewesen, weil letztlich eben nichts zwischen ihnen passiert war. Schon ein paarmal hatte er diesen Gedanken gehabt. Wäre sie eine der Frauen gewesen, die zu erobern ihn keinerlei Mühe gekostet hatte – einige davon hatte es ja durchaus in seinem Leben gegeben, vor allem in bella Italia –, dann wäre es ihm sicher leichter gefallen, Johanna Berger zu vergessen. Einmal mehr, weil die Aussicht auf Erfolg so abwegig war … Ob eine Heirat mit der streng blickenden Wormserin an seinen Gefühlen für die Kaffeehauswirtin etwas ändern würde? Gabriel fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Es gab niemanden, dem er sein Herz ausschütten konnte. Ganz allein musste er diese schwerwiegende Entscheidung über seine Zukunft treffen.
    Ein lautes Knacken ertönte über seinem Kopf. Reflexartig blickte er auf. Direkt über ihm hingen ein paar große, schwere Eiszapfen vom Dachrand. Ein dicker Tropfen löste sich von dem größten Zapfen und landete auf seiner Nase. Gerade noch rechtzeitig sprang er zur Seite und riss den neben sich laufenden Mann mit auf die Mitte der Gasse.
    »He, was soll das? Lassen Sie mich los!«, schrie dieser wütend.
    Sekunden später krachte das gesamte Gehänge mit seinen spitzen Zacken in den aufspritzenden Schneematsch. Wie Dolche steckten die riesigen Eiszapfen in der gräulichen Masse. Die größeren kippten schnell zur Seite um, nur die kleinen Spitzen ragten weiter aus dem Matsch

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