Die Kaffeemeisterin
gehört. Warum nur waren seine Eltern auf die Idee gekommen, dass er unbedingt heiraten sollte, und hatten diesen verfluchten Schadchan als Vermittler eingeschaltet?
»Eure Großväter waren Freunde. Sie wäre genau die richtige Frau für dich. Sie ist genauso alt wie du, spielt Flöte und hat eine gute Schulbildung. Es heißt, dass sie sehr klug sei. Ihren Stammbaum kann sie bis zu König David zurückverfolgen.«
»Hm«, wand sich Gabriel.
Die Frau auf dem Porträt hatte dunkle Augen und schmale, energische Lippen. Das Gesicht war länglich, mit ausgeprägten Zügen. Sie wirkte ernst und intelligent. Und ziemlich reserviert. Sie trug ein dunkles Kleid, das von einer Elfenbeinkamee geschmückt war. Dennoch sah es nicht so aus, als ob sie sich für das Porträt zurechtgemacht hätte. Es gab nichts an ihr auszusetzen. Außer, dass er sie nicht kannte und nicht wusste, ob ihr das Bild wirklich ähnlich sah oder ob der Maler sie nicht vielleicht viel schöner gemacht hatte, als sie tatsächlich war.
»Wir müssen ihnen antworten«, drängte Esther Stern und legte das Bild zurück auf den Tisch.
»Ich werde ja wohl noch darüber nachdenken dürfen!«, empörte sich Gabriel.
»Aber lass dir nicht zu viel Zeit, Junge! Ein solches Mädchen wie Rachel wird nicht lange zu haben sein.«
Sie setzte sich zurück in ihren Sessel und nahm die Stickarbeit wieder auf.
»Ja, morgen teile ich euch meinen Entschluss mit.«
»Enttäusche uns nicht schon wieder, Gabriel! Hör wenigstens bei der Wahl deiner Braut auf deine Eltern! Es ist besser für dich, wenn du verheiratet bist. Mosche Bär mag vielleicht so liberal sein, den ledigen Musiklehrer mit seinen Schülerinnen Eva und Babette allein zu lassen, andere tun das nicht. Du würdest deutlich mehr respektiert werden, wenn du Familie hättest.«
Abrupt stand Gabriel auf. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er den Spinett- und Geigenunterricht bei den beiden Bär-Töchtern schon längst wieder aufgegeben. Sie konnten noch immer nicht anständig Noten lesen, und ihre Handhaltung war eine reine Katastrophe. Doch er konnte es sich nicht leisten, Schüler abzuweisen, er brauchte jeden Kreuzer, noch dazu, weil er die neue Geige abbezahlen musste. Leider war es keine Stradivari wie die alte, aber immerhin stammte sie auch aus Cremona.
»Wo gehst du hin?«
»Raus, ich brauche frische Luft.«
»Es wird bestimmt bald wieder schneien, so dunkel wie es den ganzen Tag schon ist.«
Esther Stern blickte zum Fenster hinaus.
Gabriel nahm die Kerze und stellte sie auf die Fensterbank direkt neben seine Mutter.
»Danke, mein Junge!«
E r nahm seinen Wintermantel vom Haken und setzte den großen schwarzen Hut auf, den alle Juden trugen. Er hatte inzwischen das Gefühl, es sei besser, in der Gasse nicht allzu sehr aufzufallen. Seine Rebellion gegen die traditionelle Kleidung von vor einem Jahr war ihm mittlerweile fast ein wenig peinlich geworden. Die Galoschen nahm er in die Hand, um sie unten auf der letzten Treppenstufe überzuziehen.
Gabriel rümpfte die Nase. In dem schmalen Treppenhaus roch es nach Essen. Niemand wollte im Winter richtig lüften, und so sammelten sich die Küchengerüche der verschiedenen Hausbewohner auf der schmalen Stiege. Die Kerze, die ihm den Weg durch das finstere Treppenhaus geleuchtet hatte, blies er aus und stellte sie auf die unterste Stufe. Für den Weg nach oben würde er sich später bei Jehuda Feuer holen.
Im Laden bediente der Krämer hustend die Köchin der Bärs. Gabriel nickte ihm zu und trat auf die wie leer gefegte Straße. Von den Dächern und Vorbauten tropfte das Tauwasser herab. Fast bis zu den Knien stand er im Schneematsch. Immer wieder musste er riesigen Pfützen ausweichen. Wer ging schon freiwillig bei einem solchen Wetter vor die Tür? Selbst die Kinder waren zu Hause geblieben, und von den Bettlern und Hausierern, die die Gasse um diese Uhrzeit gewöhnlich bevölkerten, war weit und breit nichts zu sehen.
Er fragte sich, wohin er eigentlich gehen sollte. Drinnen in der Stube, mit seiner Mutter im Sessel und Rachel auf dem Ölporträt, hatte er es einfach nicht länger ausgehalten. Die ganze Wohnung schien ihm von einem unausgesprochenen Vorwurf erfüllt gewesen zu sein. Doch was hatte seine Mutter von ihm erwartet? Dass er auf ihren Verkupplungsversuch mit dem fremden Mädchen hin in Jubelgeschrei ausbrechen würde? Sie hatte ihn so seltsam angesehen, als ahnte sie, dass hinter seiner abwehrenden Reaktion mehr steckte als nur
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