Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
Kirchen.
1056 starb Heinrich III. unerwartet. Die Kaiserwitwe Agnes und Papst Viktor II. ebneten gemeinsam den Weg des erst sechsjährigen Heinrich IV. zur Herrschaft. Niemand ahnte, dass eine Ära zu Ende ging, in der sich die Päpste den Kaisern untergeordnet hatten. Die Zukunft gehörte dem Kampf um Emanzipation und schließlich um den Vorrang in der Welt.
6 Die zerrissene Einheit
(1056–1137)
In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entwickelten die Päpste ein neues Selbstbewusstsein von Amt und Autorität in Kirche und Welt. Die Konflikte mit den Königen und Kaisern bildeten eine Wendezeit der europäischen Geschichte. Die gängige Epochenbezeichnung Investiturstreit trifft den Kern der Auseinandersetzungen nicht. Es ging nämlich nicht allein um die Frage, ob die europäischen Könige wie bisher Bischöfe oder Äbte investieren (einsetzen) durften. Vielmehr gerieten alle bisherigen Gewohnheiten und das Gefüge geistlicher wie weltlicher Gewalten auf den Prüfstand. In 81 Jahren zwischen dem Tod Heinrichs III. 1056 und dem Tod Lothars III. 1137 wurde die alte Einheit der frühmittelalterlichen Welt entzaubert. Die Konjunktur des Zweifelns brachte neue Formen des Denkens und des Lebens hervor. Mit dem sozialen Wandel, in dem Städte entstanden und Hierarchien zerbrachen, gingen neue religiöse Bewegungen, die Ausformung der scholastischen Philosophieund die Entwicklung der Universitäten einher. Alte Legitimationsmuster der Könige verloren ihre Kraft. Unter der wachsenden Autorität der Kirche begann die europäische Christenheit siegessicher das Abenteuer der Kreuzzüge, das nach Anfangserfolgen zum grausamen Scheitern dieser ersten europäischen Globalisierung führte.
Am Anfang standen Ideen. Aus ihnen wuchsen Forderungen. Dann kamen die Konflikte. Sie wurden nicht systematisch, sondern durch Erschöpfung der Streitparteien in Kompromissen gelöst. Dabei veränderten sich Kaisertum und Papsttum. Zu Beginn hatten sich beide noch gemeinsam um die Reform von Kirche und Reich bemüht. Daraus entstand die Forderung nach Freiheit der Kirche
(libertas ecclesiae).
Zur inneren Reinigung verboten die Reformer die üblichen Priesterehen und schärften das Zölibat ein. Zur Abwehr äußerer Zugriffe präzisierten sie das Verbot des geistlichen Ämterkaufs, einer durchaus üblichen Praxis. Mit Hinweis auf eine Episode in der Apostelgeschichte des Neuen Testaments wurde das jetzt zur Sünde. Simon Magus wollte von den Aposteln vergeblich geistliche Heilkraft für Geld kaufen (Apg. 8); er lieh dem Vorwurf der Simonie seinen Namen. Bald brandmarkten Kirchenreformer jede weltliche Verfügung über geistliche Ämter als Simonie. Damit stand das Herrschaftsgefüge der christlichen Reiche zur Disposition. Die Könige hatten den Bistümern und Abteien seit langem wichtige Hoheitsrechte übertragen und verlangten dafür Dienste. Ihre Ableistung musste durch den personellen Zugriff auf die kirchlichen Ämter sichergestellt werden. Was über Jahrzehnte richtig war, galt jetzt als Todsünde.
Solche Lehren formten sich im dritten Viertel des 11. Jahrhunderts im Umkreis der römischen Päpste aus. Von ihnen kamen nun die entscheidenden Impulse zur Reform der Kirche und zur Entscheidung in theologischen Debatten. Aus ihrer Amtstradition besannen sich die Päpste auf ihre Lehrautorität. Nach strittiger Papstwahl erließen Papst Nikolaus II. (1058–1061) und eine Synode 1059 ein Dekret über die Ordnung der Papstwahl. Die schuldige Ehre und Ergebenheit gegenüber König Heinrich IV. (1056–1106) wurde zwar ausdrücklich vermerkt. Künftigsollte die Wahl der Päpste aber vor allem den Kardinälen der römischen Kirche zustehen. Langsam löste sich das höchste Amt der westlichen Christenheit aus dem personellen Zugriff der Kaiser und Könige. Prägnant goss Papst Gregor VII. (1073–1085) seine Ansprüche auf Kirche und Welt in die 27 Lehrsätze seines
Dictatus papae.
Der Papst als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus und die römische Kirche als Mittlerin zwischen Gott und den Menschen wurden zu letztgültigen Entscheidungsinstanzen auf Erden. Aus heilsgeschichtlicher Notwendigkeit mussten sich Kaiser und Fürsten dieser Autorität beugen.
Der Streit zwischen Papst Alexander II. (1061–1073) wie seinem Nachfolger Gregor VII. einerseits und König Heinrich IV. mit seinem Hof andererseits entbrannte vordergründig um die Besetzung des Erzbistums Mailand. Ganz selbstverständlich nahm der König dort die Personalentscheidung
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