Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
Rückfall in die Zeit vor dem großen Streit. Reformanhänger nannten das Privileg des Papstes fortan eine «schlechte Urkunde»
(Pravileg).
Stellvertretend für Paschalis II., der sich an sein Wort hielt, bannte die Synode von Vienne Heinrich V. für seine Untaten.
Am 13. April 1111, einem unbedeutenden Donnerstag, erhielt er von Papst Paschalis II. die ersehnte Kaiserkrönung. Der triumphierende Kaiser ließ sich zu einer demonstrativen Demutsgeste gegenüber seiner päpstlichen Geisel herab. Die
Annales Romani
schrieben, Heinrich V. habe dem auf den Stufen von St. Peter wartenden Papst die Füße geküsst und dann von ihm den Friedenskuss erhalten. Sogleich fügten die
Ordines
das Ritual in den Ablauf der Kaiserkrönung. Ob hoheitsvoll oder sehnsüchtig um die Kaiserkrönung bittend – fortan küssten die angehenden Kaiser dem Nachfolger des Apostelfürsten die Füße und brachten im Hinsinken auf den Boden ihre Devotion gegenüber dem heiligen Petrus zum Ausdruck. Vielleicht nahm Heinrich V. den Unterwerfungsakt seines älteren Bruders Konradauf, der im Aufruhr gegen den kaiserlichen Vater 1095 demonstrativ Papst Urban II. den Stratordienst geleistet hatte? In aufgeregten Zeiten wurden öffentliche Zeichen von Demut oder Gehorsam noch wichtiger.
Der Glanz der Kaiserkrone leuchtete nicht weit. Die Reformkirche formierte sich bald wieder gegen den Salier, und im Reich bröckelte die Akzeptanz. Verlässlichen Rückhalt fand Heinrich V. bald nur noch bei seinen staufischen Neffen, bei Herzog Friedrich II. von Schwaben und Konrad, dem späteren König Konrad III. (1138–1152). Den Reformpäpsten Gelasius II. (1118–1119) und Calixt II. (1119–1124) wurde ein kaiserlicher Gegenpapst entgegengesetzt, der ausgerechnet den Namen Gregor VIII. annahm (1118–1121). Schimpflich trieb man ihn aus seinem Amt. Er musste nackt auf einem Esel durch Rom reiten. 1119 erneuerte Calixt II. den Bann über Heinrich V.
Längst hatte der Kaiser seine Handlungsmacht eingebüßt. In unübersichtlicher Gemengelage trat er nicht mehr als Herr des Geschehens auf, sondern als eine Streitpartei neben anderen. Der zerbröckelnde Konsens im Reich zwang zum Kompromiss, den die Fürsten als «Häupter des Staats» einforderten: «Der Herr Kaiser soll dem apostolischen Stuhl gehorchen.» Kaiser und Reich traten 1121 auseinander, denn die Fürsten fällten den Spruch «zwischen dem Herrn Kaiser und dem Reich». Diesen fundamentalen Handlungsverlust des Kaisers wie den Gestaltungsgewinn der Fürsten, die jetzt das Reich gegen den Herrscher repräsentierten, beschrieb Ekkehard von Aura: «Durch ihren Rat, ihr Zureden und ihre Beschwörung wurde der Unwille des Königs soweit besänftigt, dass er selbst verfügte, die Angelegenheit solle nicht durch sein Urteil, sondern das der Fürsten beider Parteien entschieden werden.»
Am 23. September 1122 kam auf den Wiesen vor Worms die große Einigung zustande. Zwei Urkunden Papst Calixts II. und Kaiser Heinrichs V. legten den Zwist eines halben Jahrhunderts bei. Spätere nannten diese Einigung das «Wormser Konkordat». Heinrich V. verzichtete auf jede Investitur mit Ring und Stab, sagte freie und kanonische Bischofswahlen durch die Domkapitel in seinem König- und Kaiserreich zu und versprachdem Papst Frieden wie Hilfe bei der Wiederherstellung kirchlichen Besitzes.
Papst Calixt II. sicherte dem Kaiser Frieden zu. Er trennte im Imperium zwischen dem deutschen Reich und den Königreichen Italien und Burgund. In Deutschland sollten die Wahlen von Bischöfen und Äbten zwar frei und ohne Simonie oder Gewalt erfolgen, durften aber in Gegenwart des Kaisers stattfinden. Bei strittigen Wahlen, die leicht zur Regel stilisiert werden konnten, besaß er ein Entscheidungsrecht. Der gewählte Bischof musste vor seiner Weihe die Vergabe der königlichen Rechte durch das Zepter erbitten. Dabei leistete er das, «was er Dir auf Grund dessen rechtens schuldet», eine elegante Umschreibung des eigentlich verbotenen Eids. In Italien und Burgund galt der Vorbehalt der königlichen Vergabe der Rechte vor der Weihe nicht; doch sollte auch dort innerhalb von sechs Monaten darum nachgesucht werden.
Die komplizierten Bestimmungen erbrachten eine tragfähige Lösung für beide Seiten. Die geistliche Amtsgewalt konnte sich fortan unabhängiger entwickeln, auch wenn hier und da der regionale Zugriff auf die Domkapitel den imperialen Einfluss lediglich ersetzte. Die Herrscher gestalteten in der Praxis weiter die
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