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Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian

Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian

Titel: Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Bellen
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Mißständen befaßt. Vespasian wandte
     sein Hauptaugenmerk auf die großen Güter, deren Besteuerung wegen der einflußreichen Stellung ihrer Eigentümer Schwierigkeiten
     machte. Indem er auf diese Güter den Grundsatz der Residenzpflicht ihrer Eigentümer in Anwendung brachte, konnte er viele
     von ihnen, die durch dieses Raster fielen, einziehen und an Personen verkaufen oder vergeben, die eine korrekte Steuerzahlung
     gewährleisteten.
    Nach dem Muster Ägyptens revidierte Vespasian auch die übrigen Provinzen im Hinblick auf ihr Steuerwesen. Dabei kam es in
     einigen Fällen zu drastischen Erhöhungen der Tribute (Suet. Vesp. 16, 1). Im Falle Griechenlands machte Vespasian die Freierklärung
     Neros (oben S. 65) rückgängig, so daß Achaea wieder unter die tributpflichtigen Provinzen eintrat, im Falle Galliens führte
     er den von Galba aufgehobenen 2 1   /   2 prozentigen Zoll für den Handel mit Italien
( quadragesima Galliarum
) wieder ein. Die Juden mußten die Tempelsteuer von 2 Drachmen/Denaren nunmehr an Iupiter Capitolinus in den
fiscus Iudaicus
zahlen (Jos. bell. Iud. 7, 6, 6). Daß Vespasian wirklich keine Möglichkeit außer acht ließ, um dem Staat neue Einnahmequellen
     zu eröffnen, zeigte die lächerliche Besteuerung des an die Gerber gelangenden Urins der öffentlichen Latrinen (Suet. Vesp.
     23, 3, daraus das Sprichtwort:
non olet
) ebenso wie die kleinliche Inanspruchnahme der ursprünglich nicht genutzten Parzellen auf Kolonialboden
( subsiciva )
, von der Domitian |92| dann wieder Abstand nahm (unten S. 101). Selbst die Währung blieb von Vespasian nicht unangetastet: Der Feingehalt des Denars
     sank von 92% Silber (oben S. 38) auf 85%; erst Domitian stellte den früheren Standard in etwa wieder her.

Geldgier hat man Vespasian vorgeworfen, ihm aber auch zugute gehalten, daß der Zustand der Staatsfinanzen ihn zu seiner Handlungsweise
     zwang (Suet. Vesp. 16, 1 + 3). Jedenfalls hat man anerkannt, daß er die reichlich fließenden Gelder zum Wohl des Staates einsetzte.
     Dabei kam ihm seine praktische Veranlagung, aber auch sein klarer Blick für das jeweils Erforderliche zugute. So erkannte
     er, daß es dem Staat wohlanstehe, wenn er sich um die Rhetorikausbildung der künftigen Reichselite kümmere. Daraus resultierte
     die Einrichtung staatlicher Professuren für lateinische und griechische Rhetoren mit einem Jahresgehalt von 100   000 Sesterzen (Suet. Vesp. 18). Quintilian, der führende Rhetoriklehrer in lateinischer Sprache, wurde auf diese Weise für
     20 Jahre an einen Lehrstuhl in Rom gebunden. Danach schrieb er aus der Fülle seiner Erfahrung das Handbuch des rhetorischen
     Unterrichts, die ›Institutio oratoria‹, und war in den letzten Jahren Domitians als Erzieher der Adoptivsöhne des Kaisers
     (oben S. 87) an dessen Hof tätig. Die ihm damals verliehenen
ornamenta consularia
brachten die Wertschätzung der Rhetorik durch den Staat auf ganz persönliche Weise zum Ausdruck. In allgemeiner Form hatte
     schon Vespasian im Jahre 74 den Grammatik- und Rhetoriklehrern sowie den Ärzten im ganzen Reich Privilegien verliehen (Befreiung
     von Einquartierung und Steuern, Schutz gegen Injurien, Korporationsrecht) und damit die Neuorientierung der kaiserlichen Bildungspolitik
     weltweit bekannt gemacht (Edikt von Pergamum: Font. iur. Rom. anteiust. I 77).
    Die Rhetorik stand – das scheint Vespasian erkannt zu haben – am Scheideweg. Sie hatte ihre großen Betätigungsfelder, Volksversammlung
     und Senat, verloren und sah sich vom Wandel der Zeit in ihrem Wesen bedroht. Nichts zeigte dies deutlicher als die Sammlung
     alter Reden, die Mucianus, der Helfer Vespasians, zu dieser Zeit vornahm und unter dem Titel ›Acta‹ veröffentlichte (Tac.
     dial. 37). Konnte ihnen gegenüber die neue Art der Rede, die sich herausgebildet hatte, überhaupt als eigenständige Form der
     Beredsamkeit gelten oder war sie bloßes Verfallsprodukt? Der Geschichtsschreiber Tacitus (unten S.97 f.) hat in seiner Jugend
     angeblich an einem Gespräch teilgenommen, bei dem es um diese Fragen ging (75 oder 77). Im ›Dialogus de oratoribus‹ gab er
     später dieses Gespräch wieder, bei dem die Stimmen für den Niedergang der Beredsamkeit |93| überwogen und dem politischen Klima dafür die Verantwortung aufbürdeten. Immerhin wurde in der Diskussion aber auch die Zweckmäßigkeit
     der ‘modernen’ Gerichtsrede betont.
    Während nach Ansicht Vespasians die Rhetoren dem Allgemeinwohl dienten, bildeten

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