Die Kaiserzeit von Augustus bis Diocletian
die Philosophen eine Gefahr für Staat und
Gesellschaft. Bestimmte Vorkommnisse zu Beginn seiner Regierung veranlaßten ihn auf Drängen Mucians, sie aus Rom auszuweisen
(71). Man vermag sich leicht vorzustellen, daß in der breiten Skala ihrer Lehrvorträge manches Thema sich befand, das gerade
in der Phase der Wiederherstellung geordneter Verhältnisse von der Regierung als unangemessen empfunden wurde. Es waren in
der Hauptsache Stoiker, die sich auf solche Weise und durch ihr Auftreten überhaupt mißliebig machten. C. Musonius Rufus,
ihr führender Kopf, wurde zwar zunächst von der Ausweisung ausgenommen (Cass. Dio 66, 13, 1 – 2), mußte dann aber doch Rom verlassen; Titus rief ihn zurück. Seine berühmtesten Schüler waren Epictetus und Dio Chrysostomus.
Diese wiederum wurden von der Philosophenausweisung betroffen, die Domitian 93 im Zuge des Gewaltregiments seiner letzten
Lebensjahre (Suet. Dom. 10, 3) anordnete. Von Epictetus, einem freigelassenen Sklaven, der seine Lehrtätigkeit in Nicopolis/Achaea
fortsetzte und großen Zulauf hatte, ist das ›Handbüchlein der Moral‹ erhalten, das als Zusammenfassung seiner Lehren große
Wirkung ausgeübt hat. Dio Chrysostomus zog als Wanderprediger durch die Lande (an der unteren Donau und am Schwarzen Meer),
bis durch Nervas Restitutionsakt seine Heimatstadt Prusa/Bithynien und die Reichshauptstadt Rom sich ihm wieder öffneten (vgl.
unten S. 136f.).
Die Ausweisung der Philosophen aus Rom entzog die hauptstädtische Bevölkerung dem direkten Einfluß ihrer Lehren. Die Philosophie
als solche hatte aber längst in den Köpfen der Gebildeten ihren Platz und übte auf ihr Handeln die entsprechende Wirkung aus.
Es waren z. B. philosophische Antriebe, die den Schwiegersohn des Thrasea Paetus (oben S. 64), C. Helvidius Priscus, der im
Jahre 70 Prätor war, zu Vespasian in Opposition treten ließen: Der Kaiser entsprach nicht dem stoischen Bild des Herrschers.
Helvidius Priscus griff daher auf den Freiheitsbegriff zurück und machte von den sich aus ihm ergebenden Argumentationsmöglichkeiten
so penetranten Gebrauch im Senat, daß Vespasian ihn 71 verbannen und später töten ließ. Als Märtyrer der
libertas
trat Helvidius Priscus neben Thrasea Paetus. In einer Lobschrift nannte der Stoiker Q. Iunius Arulenus Rusticus sie
sanctissimi viri
(Suet. Dom. 10, 3). |94| Dies wiederum, d. h. die Veröffentlichung des Buches, trug dem Verfasser 93 (ein Jahr nach seinem Konsulat) einen Majestätsprozeß
und die Verurteilung zum Tode ein. Ebenso erging es im gleichen Jahr Herennius Senecio, der eine Biographie des Helvidius
Priscus veröffentlicht hatte; beide Bücher wurden öffentlich verbrannt (Tac. Agr. 2). Domitian wütete in jenem Jahr gegen
die Philosophen insgesamt, denn er sah seine Herrschaft von ihrem Wirken bedroht. Wie schon unter Vespasian war es die Freiheitsparole,
die gegen den Prinzipat, insbesondere gegen die Tyrannis Domitians ausgegeben wurde. An dieser philosophischen Kampagne war
auch der wundertätige Wanderprediger Apollonius von Tyana/Kappadokien aus der Ferne beteiligt. Domitian soll ihn zum Verhör
nach Rom zitiert haben, hätte ihm aber hier nichts anhaben können (Philostr. Apoll. 7, 9; 8, 5).
Unter den Opfern von Domitians Schreckensregiment vor seiner Ermordung befand sich sein eigener Vetter T. Flavius Clemens,
der Vater der beiden von ihm als Nachfolger in Aussicht genommenen Knaben (oben S. 87). 95 wurde er kurz nach Ablauf seines
(von Januar bis April währenden) Konsulats wegen Atheismus, d.h. Negierung der Staatsgötter, angeklagt und zum Tode verurteilt,
seine Frau, Flavia Domitilla, wegen des gleichen Vorwurfs mit Verbannung bestraft. Das Vorgehen gegen Flavius Clemens stand
in Zusammenhang mit Maßnahmen Domitians gegen die Juden bzw. ihre Sympathisanten. Von letzteren wurde eine ganze Anzahl mit
schweren Strafen belegt, ihr Vermögen eingezogen (Cass. Dio 67, 14, 1 – 2). Die Verfolgung des zum Judentum hinneigenden Personenkreises war begleitet von einer Extensivierung der Zweidrachmensteuer
(oben S. 91) und ihrer rigorosen Eintreibung durch den
fiscus Iudaicus
(Suet. Dom. 12, 2). Man könnte meinen, Domitian habe zeigen wollen, daß auch er über die Juden siegen könne.
Die christliche Überlieferung kennt eine Flavia Domitilla, Nichte (!) des Flavius Clemens, die wegen ihres christlichen Glaubens
von Domitian verbannt worden sein soll (Euseb. hist. eccl. 3, 18,
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