Die kalte Koenigin
griff durch die Gitterstäbe meines Käfigs, konnte sie aber nicht erreichen.
Sie nickte langsam, indem sie die Augen geschlossen hielt, als wollte sie mich nicht ansehen. »Ich begab mich zu den alten Städten und den umgestürzten Türmen von Byzanz. Auch die Vampyre der Inseln suchte ich auf, von Kreta bis nach Sizilien. Auf Schlachtfeldem ging ich zu den sterbenden Soldaten und suchte nach denjenigen, die am tapfersten und rücksichtslosesten gewesen waren. Ich stahl mich in den schwärzesten Nächten in Gefängnisse, um den Verurteilten frohe Kunde zu bringen. Vor ihrem Tode sagte ich zu ihnen, ich könnte ihnen das ewige Leben auf dieser Welt verschaffen, wenn sie den Nahhashim und dem Priester des Blutes dienten. Bis auf den letzten Mann schworen sie es, da sie alle Angst vor dem Tod der Sterblichen hatten. Ich blies ihnen den Atem in die Lungen, und jeder erhielt den Heiligen Kuss. Das ging so lange, wie ich die Fähigkeit besaß, ihn zu verteilen. Und sie erhoben sich von den Toten, ihr Durst war so groß. Sie erfüllten ihren Eid, den sie mir und unserem Stamm geleistet hatten. Doch immer noch wartete ich auf deinen Ruf im Strom. Wir alle warteten. Ich spürte Feuer im Strom, Angst befiel mich. Ich konnte den Heiligen Kuss nicht länger weitergeben, und wenngleich unsere Flügel sich in der Nacht ausbreiteten, so spürten wir dennoch alle den Sog der Erde. Aber ich gab die Hoffnung nicht auf, Falkner. Viele übernahmen Handelsschiffe, da ihre Flügel nicht wachsen wollten. Die Schiffe boten uns ständige Nahrung, ebenso wie einen Ruheplatz für den Tag. Diejenigen von uns, die noch immer fliegen konnten, führten sie durch Sturm und raue See. Das erste Zeichen der Veränderung war für uns ein Geräusch, das sich anhörte
wie ein Drache, der in der Ferne brüllt, sowie Rauchschwaden, die aus vielen Ländern aufstiegen, als hätten Sterbliche ihre Häuser und Schlösser in Brand gesteckt, um das Übel zu besiegen, das über sie gekommen war. Plagen überkamen sie, und zusammen mit ihrer Ankunft stellten sich Tod, Winter und Verzweiflung ein. Ganze Dörfer wurden vom Angesicht der Erde getilgt. Städte verloren die Hälfte ihrer Bevölkerung durch Fieber und Krankheiten. Zahlreiche Menschen töteten ihre Lieben. Meere froren zu, als stünde uns eine Eiszeit bevor, und dennoch konnte es der Fall sein, dass das Land so warm war wie im Sommer. Wenn wir uns auf der Jagd befanden, opferten sich uns selbst leidende Kinder. Und dann... der Traum... die Jungfrau der Schatten mit der großen Scheibe und ihrem Strahlenkranz. Ich verzweifelte an dir, Falkner, so wie wir alle. Wir reisten durch die Nacht, geschwächt durch das Schweigen im Strom, und tranken von zu vielen Sterblichen, uns nach dem letzten Tropfen Lebenskraft aus ihnen verzehrend und nicht dazu imstande, Befriedigung zu erlangen. Hierher... lockten uns die Myrrydanai mit der Macht des Stabes der Nahhashim. Ein Jahr des Krieges folgte, doch alles war verloren. Alles... verloren... Es gibt keinen Maz-Sherah, Falkner. Du bist nur ein Jüngling namens Aleric, der inmitten der Toten von Hedammu gefunden wurde. All die Legenden und das, was wir von Merod Al-Kamr wissen – verloren. Die Schlange hat sich gehäutet und uns verlassen. Die Macht der Myrrydanai wächst, sie haben die Welt der Sterblichen mit ihren Schatten besudelt. Dieses Spiel wurde für uns ersonnen, und diejenigen, die diese Prüfung bestehen, werden zu... werden zu Moms.«
Endlich öffnete sie doch noch ihre Augen, um mir das zu
zeigen, was sie nicht länger verbergen konnte. Ihre Augen waren so farblos wie diejenigen der Moms, die mich zuvor an diesem Abend angegriffen hatten. »Ich kann noch immer sehen«, erklärte Kiya. »Aber sie sind im Laufe dieser letzten Jahre über mich hergefallen, Aleric. Sie packen uns und legen uns auf ein Foltergerät, auf dem wir verbrannt und zerfetzt werden und verbluten. Es verfügt über winzige Stacheln und reißt an deiner Haut, und es bewegt dich, als sei es... ein lebendes Wesen. Einige nennen es Roter Skorpion, denn seine Scheren sind scharf, sein Stich ist schmerzhaft, und es ist über und über mit Blut befleckt.«
»Es schreibt die Verbrechen der Vampyre auf unser Fleisch«, sagte in einiger Entfernung jemand in der Dunkelheit.
Ein anderer rief: »Sein Stachel bohrt sich in dich hinein, tief unter die Haut.«
»Es wurde angefertigt«, meinte Kiya, »um uns unsere Essenz zu entziehen.«
»Er wurde gebaut, um uns zu versklaven«, erwiderte die
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