Die kalte Koenigin
an das, was Kiya zu mir gesagt hatte, und tauchte die Lanze in die Flüssigkeit. So wusch ich den letzten Rest Quecksilber ab und überzog die Lanze mit diesem Gift.
Währenddessen rannte der Knabe direkt in meine Richtung. Er schwang seinen Morgenstem so über seinem Kopf herum, dass dieser wie ein Wirbelwind wirkte. Ich konnte ihn brummen hören, als sänge er eine heilige Melodie, wie tausend Heuschrecken, die dort über dem Kopf des Jungen summten.
Mir fiel ein anderer Knabe ein, jünger als dieser hier, der gestorben war, als ich zum Vampyr geworden war. Plötzlich erinnerte ich mich an sein Gesicht, und ich wollte dieses junge Leben nicht auch noch nehmen, obgleich der junge Kämpfer voller Kraft und Ungestüm auf mich zurannte.
Ich hörte, wie die Menschenmenge entzückt aufschrie, als hätte sie auf diesen Moment nur gewartet – der Knabe und der Vampyr, der sterbliche Jüngling in seinem zerlumpten Tuch und der unsterbliche Jüngling in silbernen Handschellen.
Ich beobachtete den Morgenstem, als der Knabe aufhörte, ihn kreisen zu lassen, und nach mir schmetterte. Als die mit Klingen gespickte Kugel auf mich zuschoss, duckte ich mich und stieß die Lanze aufwärts.
Der Knabe lief weiterhin auf mich zu, auch als er den Morgenstern bereits losgelassen hatte. Ich war mir sicher, er würde geradewegs in die Klingen der Lanze hineinlaufen, doch stattdessen
ließ er sich fallen und glitt darunter, wobei sein Fuß beinahe mein Knie berührte.
Auch ich ließ mich fallen, als der große Morgenstern nach unten sauste, seine Kette noch immer in der Hand des Knaben. Dann stieß ich mit der Lanze nach oben, um die Kette zu erwischen, die die Kugel mit dem Stab verband. Die Folge davon war, dass mir der Morgenstern die Lanze aus den Händen riss und die beiden Waffen über den Boden geschleudert wurden.
Der Knabe und ich sahen einander einen kurzen Moment lang an. Ich erkannte die Furcht in seinen Augen, denn ohne seine Waffen befand er sich in der Gewalt eines Ungeheuers – ich war für ihn ein Dämon, und wenngleich er auch fast schon ein Mann war, so lebte doch der Knabe weiter auf seinen Zügen, und er hatte dem Tode noch nicht oft ins Auge geblickt.
»Ich will dich nicht töten«, sagte ich, indem ich ihn in die Höhe hob.
Er trat nach mir und riss sich von mir los. Dabei spuckte er nach mir und schrie Kraftausdrücke und Flüche über die Dämonen und ihre Tricks. Als er mehrere Schritte von mir entfernt war, brüllte er dem Publikum zu: »Ich bin Gron, ich habe in drei Spielen Teufel getötet!« Er hob die Faust gen Himmel, wie zu seinem Gott. »Ich werde auch heute Nacht all diese Teufel töten!« Er stampfte mit dem Fuß auf, und das Publikum stampfte als Reaktion ebenfalls auf.
Diejenigen, die diesem Spektakel zusahen, begannen die Worte »Gron, Meister des Spiels!« im Sprechchor zu rufen.
Andere gaben zurück: »Gron der Große! Gron der Gerechte! Gron der Junge! Gron der Teufelsschlächter!«
Da lief der Knabe auf ein zu Boden gefallenes Schwert zu und hob es unter dem Beifall der Menge auf. Er hob es über den Kopf und schwang es herum. »Heute Nacht kehren die Teufel in die Hölle zurück!«, brüllte er.
»In die Hölle!«, rief die Menge im Chor.
»Lang lebe Gron! Der Meister des Spiels! Gesegneter des Traumes! Fürst der Illuminationen!«, brüllten sie, jubelten und schrien ihre Liebe zu ihm hinaus.
Ewen kämpfte noch immer gegen den Eber, während die muskulöse junge Frau mit einer Axt nach seiner Flanke schlug. Ich wollte zu ihm laufen, um die Frau niederzuschlagen, aber das Gebrüll des Knaben hielt mich zurück.
Gron hatte seine Stimme erneut zu einem Schlachtruf erhoben und rannte wieder auf mich zu, mit wildem Blick und wehendem Haar. Ohne nachzudenken versuchte ich mein Handgelenk aus den Silberhandschellen zu ziehen. Wenn ich nur die Fesseln abstreifen könnte, wäre ich vielleicht imstande, meine Flügel zu entfalten. Ich könnte möglicherweise meine verlorene Kraft zurückgewinnen. Doch der Knabe bewegte sich mit großer Schnelligkeit, und mein nächster Gedanke galt Ewen. Die Amazone hatte ihm die Axt zweimal in den Rücken geschlagen, und nun gaben seine Knie nach.
Es gelang dem Eber, das silberne Netz über ihn zu werfen.
Einst, in den Nächten meiner Macht, hatte ich wie ein Wolf rennen oder meine Drachenflügel so ausbreiten können, dass ich es mit Leichtigkeit vermocht hätte, diese weite Fläche zu überfliegen und die Sterblichen zu bezwingen. Doch das Silber an
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