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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Clegg
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die Tränen in ihren Augen erinnerten mich an das Leben selbst, an die Demut und das Leiden der Sterblichen, gefangen in den silbernen Beschränkungen der menschlichen Welt.
    Hinter mir wurde der Wolf langsamer und setzte sich bald. Er blickte mich mit wilder Klugheit an.
    Während ich die Schultern der Jungfrau mit meinen Händen berührte, blickte ich sie erneut an, sie, die dort als meine Belohnung hingestellt worden war. Sie zitterte wie ein zahmes Rehkitz, das plötzlich den Speer seines Hüters zu Gesicht bekommt. Es war meine Bestimmung, von ihr zu trinken, den Schlüssel von ihr zu nehmen und den Siegesschrei ertönen zu lassen, für meine Brüder und Schwestern vom Blut der Medhya, die Kinder der Dunklen Madonna und der Priester des Blutes, des Fleisches und des Schattens.
    Sie blickte mir in die Augen, als wäre ich ein Gott, der gekommen war, um sie in die Vergessenheit zu holen.
    »Wo ist dieser Schlüssel?«, fragte ich. »Rasch!«
    Sie öffnete den Mund, und dort, auf ihrer Zunge, lag ein kleiner Schlüssel.
    Diesen nahm ich und drückte ihn gegen meine linke Handschelle, bis ich das Loch fand, das winziger war als jedes Schloss, das ich jemals zuvor gesehen hatte. Ich drehte den Schlüssel, und die silberne Handschelle fiel zu Boden. Dann öffnete ich auch noch die andere, ebenso wie die Fesseln um meine Knöchel. Schon in dem Moment, als sie zu Boden fielen, spürte ich die Erleichterung und das Gefühl der Macht, das mich überkam.
    In ihrer Verzweiflung drehte die Jungfrau den Kopf zur Seite
und bot mir ihren Hals dar. Ich hörte die Schreie der Menge – sie flehten nicht um das Leben der jungen Frau, sondern befahlen mir grausam, sie auszutrinken, damit sie das vampyrische Blutmahl beobachten und genießen konnten.
    Meine Lippen sehnten sich nach dem Salz ihres Halses, und ich stellte mir vor, wie ich die Haut aufschlitzte und meine Zähne in ihr Fleisch grub, um ihre übersprudelnde Lebenskraft mit meinem Mund aufzunehmen.
    Als ich mich nach vom beugte, um dies zu tun, sah ich den Pavillon durch den Feuerring deutlicher.
    Der Qualm des Weihrauchs war von einer kühlen Brise davongeweht worden, und nun schien es so, als hätte er sich geteilt, so dass ich ihr Gesicht besser sehen konnte.
    Ich erblickte die Königin dieses Spiels, gehüllt in die Pelze von Bären und Wölfen.
    Es war Alienora – von ihrem Volk nun Enora genannt. Und dennoch war es nicht sie.
    Ihr hellrotes Haar war nach hinten gebunden, obwohl ihr einige Locken über den Hals fielen, und sie trug eine Krone aus Gold, die eine niedrige Mitra umschloss. Auf ihrem Gesicht war ein triumphierendes Lächeln zu sehen. Ich wusste, dass dieses Lächeln nicht mir galt, aber ebenso wenig dem jungfräulichen Opfer oder irgendjemandem sonst in der Arena.
    Ihr Lächeln galt dem Spiel selbst und der Macht, die sie darüber besaß. Das Publikum repräsentierte ihren Willen, und es war der blutdurstige Schrei der Menge, der ihr gefiel.
    Sie saß auf dem hohen Thron des Spiels selbst. Neben ihr saß ihr Gemahl, mein Halbbruder Corentin Falmouth. Überall um sie herum waren Priester in weißen Roben zu sehen – die
Myrrydanai in Verkleidung. Auch sie nahmen an dem Sprechgesang teil, in dem der Tod des Opfers gefordert wurde.
    Ich zog mich von dem Hals der jungen Frau zurück.
    Dann drehte ich mich zu der Menschenschar um, die dem Feuerring am nächsten stand, jenseits des Geflechtes, der Masten und der Käfige, die sie vor denen in der Arena schützten. Die Leute brüllten, dass ich mich über das Mädchen hermachen sollte, ihren Nektar saugen, sie wie Ale aus einem Krug trinken sollte.
    Schon zuvor war ich der Sterblichen überdrüssig geworden, die nur nach Zerstörung trachteten. Obgleich es meiner Natur entsprach, Blut von den Lebenden zu trinken, wollte ich doch kein Sklave dieser geistlosen Masse menschlichen Lebens sein. Ich würde hundert von ihnen austrinken, bevor ich diese Opfergabe anrührte.
    »Ich werde sie nicht töten!«, schrie ich, wobei meine Stimme heiser, aber kräftig klang. Dann hob ich meine linke Hand und ballte sie zur Faust, als wollte ich nach dem Himmel schlagen. »Dieses Vergnügen werde ich euch nicht gönnen! Ihr habt euch und euer Reich des Namens >Ungeheuer< als würdig erwiesen! Ihr habt selbst die von uns, die das Blut von Unschuldigen trinken, übertroffen! Ihr habt das Töten in ein Spiel verwandelt, das niemand gewinnen kann. Die geflügelten Dämonen, die ihr fürchtet, töten für ihr Überleben, nicht zur

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