Die kalte Koenigin
zu verwenden, und dies bereits Jahre, bevor ich ihn überhaupt kennen gelernt hatte. Er besaß keine Ehefrau und keine Kinder und vererbte daher mir seinen Reichtum, der nach den damaligen Maßstäben riesig war. Er hatte zu mir gesagt, ich sollte den Tempel einer Stadt namens Pergamos aufsuchen. Also brach ich zu jenem Ort auf, sobald ich imstande war, ein Schiff und Seeleute anzuheuern. Ich überquerte Berge, um dorthin zu gelangen. Doch als ich
diese Stadt fand, war ich darüber erschüttert, wie primitiv sie auf mich wirkte.
Es schien so, als wäre ich in die Vergangenheit zurückversetzt, da sämtliche Gebäude Lehmhütten waren und es keinen König gab, keinen Herrscher über die Stadt. Stattdessen wimmelte es dort von Vipern, die behandelt wurden, als handelte es sich bei ihnen um kleine Götter. Eltern gestatteten es ihren Kindern, sich viele Male von den Schlangen beißen zu lassen, und trotz der Todesfälle, die dies zur Folge hatte, oder der vielen Jahre, in denen sie krank waren, schien dies niemanden zu kümmern. Die Leute hatten das Gefühl, all dies läge in den Händen des Schicksals.
Es hieß auch, es gäbe eine Frau, die mit den Schlangen sprach und mit ihrer Hilfe weissagte. Angeblich handelte es sich bei ihr um einen Basilisken – eine Königin aus irgendeinem Reich musste dies sein, die mit einem Blick Menschen töten konnte und mehr eine Schlange als eine Frau war. Sie kam nach Einbruch der Dunkelheit zu den Höhlen des Tempels, und man sagte, sie geleitete einige zum Lande der Toten, während andere zurückkehrten, um von ihren Prophezeiungen zu erzählen. Ich suchte sie nach Mitternacht auf, da ich das Gefühl hatte, dass nur eines dieser Wesen mir die Geheimnisse der Unsterblichkeit verraten könnte.
Sie war die Wahrsagerin einer Stadt, die auf einem Schlangennest erbaut worden war.
Denn, weißt du, es gibt geheime Kenntnisse, die den Sterblichen Unsterblichkeit verleihen, ohne dass sie den Tod erleiden müssen, den du erleiden musstest. Ohne die bestialische Natur, die in deinem Munde Fangzähne wachsen lässt, wenn dein Opfer sich in deiner Nähe befindet. Ohne das Bedürfnis
danach, Blut zu trinken. Ohne die Flügel einer fliegenden Echse auf deinem Rücken. Eure Art entstand tausend Jahre oder mehr noch, bevor selbst ich geboren wurde, und ich bin schon mehr als tausend Jahre alt. Doch ich entdeckte eine Quelle eurer Unsterblichkeit. Und mit der Hilfe der Python, die mich sehr liebte, lebte ich beinahe fünfhundert Jahre. Während dieser Zeit entwickelte ich meine eigene Unsterblichkeit, ließ sie gedeihen, um sie eines Tages vervollkommnen zu können.
Erst durch die Göttin, die nach deiner Vernichtung trachtet, erlangte ich das notwendige Wissen. Sie war es, deine Medhya, die mir etwas ins Ohr flüsterte, als ich von der giftigen Blume des Schleiers trank. Und ich spürte die Klauen ihrer Schatten, als sie sich mir näherten. Du weißt um jene andere Welt, in der die Götter existieren, und um diese Welt, Falke. Aber weißt du auch um die zahlreichen Welten, die es gibt, von denen die meisten allen denen unbekannt sind, die die kurze Lebensspanne gelebt haben, bei der es sich um das Schicksal der Sterblichen handelt? Weißt du, dass es sich bei jenem Strom, den du zwischen den Angehörigen deines Stammes spürst, einfach um eine Membran – eine Glückshaube – handelt, die zwischen dir und allen Unsterblichen gespannt ist? Sie erstreckt sich über die Membranen der Menschen, der Tiere und der Pflanzen. Die Quelle von ihnen allen ist diese eine, und alle stammen aus diesem Ursprung und sind so miteinander verbunden.
Ja, ich weiß auch um euren Strom. Ich spüre ihn, wenn er stark ist, und ich fühle die Nähe deines Stammes. Nun ist er schwach, kaum mehr ein Tröpfeln, doch er existiert noch.
Ich bin weiter in den Strom vorgedrungen, Falke. Ich kann ihn beherrschen. Ich kann ihn lenken. Er ist ein Strang, an
dem ich zu ziehen vermag, oder eine Strömung, die ich an einem Ende aufstauen kann, um am anderen Ende einen Teich zu erschaffen.
Ich habe gelernt, wie man solche Veränderungen gestaltet, kleiner Falke. Ich habe die Kunst der Schöpfung und Vernichtung erlernt, indem ich die Glückshaube des Schleiers verwende.«
»Und doch nutzt du dieses Wissen, um das Leben selbst zu vernichten«, sagte ich.
»Und du etwa nicht?«, fragte er. »Du, der du den Lebenssaft von Jungfrauen, Knaben und alten Männern trinkst? Es ist nicht das Leben, das ich vernichte, Falke. Du wirst
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