Die kalte Koenigin
seinem Blut habe ich eine starke Essenz herausgefiltert. Du hast ihm den Heiligen Kuss des Lebens gegeben. Er hat dein Blut getrunken, das über besondere Eigenschaften verfügt – ja, ich habe während unserer nächtlichen Transfusionen einen großen Teil davon genommen. Er musste sich dem Skorpion einmal stellen, und nun sitzt er in dem Stuhl der Destillation. Doch dein Blut unterscheidet sich von dem Blut deiner Geschwister,
Falke. Dein Blut ist feiner. Du wirst ebenfalls schwer zu brechen sein. Aber du wirst gebrochen werden, so wie es auch schon mit allen Mitgliedern deines Stammes vor dir geschehen ist.«
Ich spuckte ihm ins Gesicht, indem ich gegen meine Fesseln ankämpfte.
Dann spürte ich einen Schlag gegen meinen Hinterkopf – der Schmerz ließ mich ohnmächtig werden.
Als ich wieder zu mir kam, befand ich mich in einem Korridor voller Spiegel.
Allein.
Weder meine Hände noch meine Füße waren zusammengebunden, wenngleich das Silber an ihnen verblieben war, um mich zu schwächen.
Warum war ich hier? Warum hatte Artephius mich zu einem Spiegel gebracht?
»Wir sind für Spiegel unsichtbar«, sagte ich laut, da ich dachte, dass ich gut zu hören wäre. Es lag an dem Silber hinter dem Glas des Spiegels, das uns nicht reflektierte. Dies war mir gesagt worden.
Doch als ich den Spiegel vor mir ansah, begann ich eine verschwommene Bewegung darin wahrzunehmen. War dies eine Vorbereitung auf meine Folter? War dies Alchimie?
Das Spiegelsilber bewegte sich wie ein wirbelnder Mahlstrom, und sein Glanz erwies sich als zu stark für meine Augen. Aber sehr bald kam das flüssige Glas wieder zur Ruhe. Ich erblickte das, was die Angehörigen meines Stammes in Spiegeln sehen, und begriff, warum wir sie nicht ansehen sollten. Ich sah mich selbst, aber nicht als jungen Mann mit der blassen
Schönheit der Jugend und der Vampyre. Stattdessen erblickte ich jenes schreckliche Wesen unter meinem Fleische – den Leichnam des Soldaten, der Jahre zuvor in einem Turm in Hedammu durch die Hand der Pythia gestorben war, die von mir getrunken hatte. Mein vergilbter Schädel bohrte sich durch eine lederartige, zerrissene Haut. Zerschmetterte und verdrehte Knochen ragten aus dem feinen Kittel und den Kniehosen heraus, die ich in jener Nacht getragen hatte. Ich betrachtete mein totes, unbegrabenes Selbst. Glänzende schwarze Käfer setzten das, was davon noch übrig war, in Bewegung, und die Maden der Zeit, deren Farbe sich unaufhörlich von Weiß in Braun verwandelte, bildeten eine neue Haut aus ihren glatten Formen, während sie den restlichen Knorpel zerfraßen, der die Knochen mit den Gelenken und den Schädel mit der Wirbelsäule verband.
Reichte dies aus, um einen Vampyr in den Wahnsinn zu treiben? Sich an seinen Tod zu erinnern, das wahre Selbst zu sehen, das unter dem Glanz unseres Stammes noch vorhanden war, jener unsterblichen Schönheit, die die Kosmetik des Grabes auf dem verrottenden Leichnam war? Befand ich mich dort, in jenem zerfließenden Quecksilber, oder befand ich mich hier, in diesem Fleisch, das ich ansehen mochte, an meinen Händen und Armen, um sagen zu können: »Nein, dies hier ist die Wahrheit. Das Spiegelbild ist eine Lüge.«
Hinter mir, als hätten sie die Halle mit mir betreten, erblickte ich all jene, von denen ich getrunken und die ich in meiner Gier getötet hatte. Dort waren sie. Von der ersten jungen Frau, die nach meiner vampyrischen Geburt in meinem Grab an mich gefesselt worden war, bis hin zu den Bediensteten des Alchimisten, die ihren Lebenssaft hingegeben hatten, damit ich
für die Foltern und Spiele dieses Wahnsinnigen wiederbelebt werden konnte. Ihre Anzahl ging in die Hunderte, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, von so vielen getrunken zu haben, und auch den Überblick über die hübschen jungen Dinger verloren hatte, die ich an die Schwelle des Todes gebracht hatte. Ich sah ihre Wunden, die nicht geheilt waren, überall an Kehlen, Armen und Schultern, wo meine Zähne ihr Fleisch zerrissen hatten.
Als ich dies in dem Spiegel erblickte, spürte ich den altbekannten Schmerz, der durch das Silber hervorgerufen wurde. Vielleicht entsprachen die Legenden der Wahrheit, dass Sterbliche Vampyre nicht im Spiegel sehen konnten, aber ich hatte das Geheimnis des Silbers selbst herausgefunden – das Geheimnis seiner reflektierenden Natur. Es zeigte uns so, wie wir wirklich waren. Als die Ungeheuer, zu denen wir geworden waren – und das waren nicht Sukkubus und Inkubus, wie sie in den
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