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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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halb vollen Teller beiseite. Sie griff nach ihrem Frozen Daiquiri, zerkaute geräuschvoll das Eis zwischen den Zähnen und betrachtete ihren Gast neugierig.
    Martin gab mit einem Essstäbchen ein Zeichen und ließ es dann zwischen den Fingern hin und her wandern. An der Bar goss Tsou Xing ihm einen Whiskey pur ein. Die schlanke junge chinesische Kellnerin mit einem engen Rock, der an einer Seite bis zum Oberschenkel geschlitzt war, brachte ihn an den Tisch.
    Martin sagte: »Danke, Minh.«
    »Sie sollten was essen, Martin«, sagte Minh. Sie sah, dass er mit dem Essstäbchen spielte. »Chinesen sagen, Mann mit einem Essstäbchen muss verhungern.«
    Schmunzelnd legte er das Stäbchen auf den Tisch. »Ich nehme einmal Peking-Ente mit, wenn ich gehe.«
    Fred sah der jungen Frau im Spiegel hinterher. »Na, das nenne ich einen tollen Hintern, Dante. Läuft bei Ihnen was in der Richtung?«
    »Und Sie, Fred?«, fragte er freundlich. »Legt man Sie immer noch aufs Kreuz?«
    »Man versucht’s«, entgegnete sie mit einem verkniffenen Lächeln, »in beiderlei Sinn. Aber es gelingt keinem.«
    Kichernd holte Martin eine Beedie aus der Dose und zündete sie mit einem der Streichholzbriefchen des Restaurants an, die auf dem Tisch lagen. »Sie haben noch nicht erklärt, wie Sie mich gefunden haben.«
    »Ach, nein? Man könnte eher sagen, dass wir Sie nie aus den Augen verloren haben. Als Sie wie ein Stück Treibholz über einem Chinarestaurant in Brooklyn angespült wurden, gingen in den ehrwürdigen Hallen der Company die Alarmglocken los. Noch am selben Tag, als Sie den Mietvertrag unterschrieben, hatten wir eine Kopie davon. Wohlgemerkt, niemand war überrascht, dass Sie sich für die Martin-Odum-Legende entschieden hatten. War schließlich nur logisch. Er war tatsächlich am Eastern Parkway aufgewachsen, hatte die Public School 167 besucht, Crown Heights war sein Revier, sein Vater hatte einen Elektroladen auf der Kingston Avenue. Martin hatte sogar einen Schulfreund, dessen Vater ein Chinarestaurant auf der Albany Avenue besaß. Martin Odum war die Legende, mit der Sie unter meiner Ägide gearbeitet haben, oder hatten Sie dieses kleine Detail verdrängt? Dabei fällt mir ein, Sie waren der letzte Agent, den ich persönlich betreut habe, bevor sie mich mit einem Tritt nach oben befördert haben, um die Mitarbeiter zu betreuen, die die Agenten betreuen, und trotzdem, selbst mit der größeren Distanz habe ich mich immer persönlich für Sie zuständig gefühlt. Komisch ist nur, ich kann mich nicht entsinnen, dass Odum je Privatdetektiv war. Wahrscheinlich haben Sie gedacht, die Legende müsste mal ein wenig ausgeschmückt werden.«
    Martin vermutete, dass der Billardsaal verwanzt war. »Detektiv sein ist besser als sein Geld mit schwerer Arbeit zu verdienen.«
    »Was für Fälle haben Sie denn zurzeit so?«
    »Mah-Jongg-Schulden. Wütende Ehefrauen, die mich für Fotos von Ehemännern beim Seitensprung bezahlen. Chassidische Väter, die den Verdacht haben, ihre Söhne gehen mit Mädchen, die nicht koscher leben. Einmal haben mich die Angehörigen eines Russen engagiert, der in Little Odessa gestorben war, dem Russenviertel in Brooklyn. Sie waren überzeugt, die Tschetschenen, die das Krematorium betrieben, würden den Verstorbenen vor der Einäscherung die Goldzähne ziehen. Ein anderes Mal sollte ich für einen schillernden Lokalpolitiker aus Little Odessa den Rottweiler suchen, den seine Exfrau gekidnappt hatte, als er mit den Unterhaltszahlungen im Rückstand war.«
    »Sie arbeiten viel in Little Odessa.«
    »Ich nicke immer nur, wenn meine Klienten nicht auf das richtige Wort kommen und dann ins Russische wechseln. Sie glauben anscheinend, ich verstehe sie.«
    »Haben Sie den Hund gefunden?«
    »Martin Odum findet jeden Hund.«
    Sie stieß mit ihm an. »Na, denn prost, Dante.« Sie trank einen Schluck von ihrem Daiquiri und beäugte ihn über den Rand des Glases. »Übernehmen Sie auch schon mal vermisste Ehemänner?«
    Die Frage hing zwischen ihnen in der Luft. Martin sog kurz an seiner Beedie, sagte dann ausgesprochen beiläufig: »Wieso fragen Sie?«
    Sie trommelte mit einem Zeigefinger seitlich gegen ihre Fred-Astaire-Nase. »Spielen Sie nicht Trivial Pursuit mit mir, Pippen.«
    »Bis jetzt habe ich von vermissten Ehemännern die Finger gelassen.«
    »Und wie sieht’s aus mit ab jetzt?«
    Martin folgerte, dass seine Wohnung doch nicht verwanzt war, sonst hätte Fred nämlich gewusst, dass er Stella Kastner abgelehnt

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