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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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hatte. »Vermisste Ehemänner interessieren mich nicht, die haben sich nämlich in neunundneunzig Prozent der Fälle eine schöne, neue Identität verschafft und eine neue Frau dazu. Und es ist ungemein schwierig, statistisch sogar unmöglich, Leute ausfindig zu machen, die fest entschlossen sind, niemals zu ihrer früheren Frau zurückzukehren.«
    Fred wirkte, als sei ihr eine Last von den gepolsterten Schultern genommen worden. Sie fischte noch mehr Eis aus ihrem Daiquiri und zerbiss es. »Ich hab eine Schwäche für Sie, Dante. Ja, wirklich. In den Achtzigern, Anfang der Neunziger, waren Sie für Ihre Legenden legendär. Die Leute sprechen noch immer von Ihnen, wenn auch mit unterschiedlichen Namen, je nachdem, wann sie Sie gekannt haben. ›Was treibt der gute Lincoln Dittmann eigentlich noch so?‹, hat mich erst letzte Woche noch einer der Oberbosse gefragt. Sie schwebten auf einer Wolke falscher Identitäten und falscher Hintergründe, die Sie einfach so abspulen konnten, samt Sternzeichen und welche Angehörigen auf welchem Friedhof begraben lagen. Wenn ich mich recht entsinne, war Dante Pippen ein Katholik, der seinen Glauben verloren hatte – er konnte den Rosenkranz auf Latein beten, was er als Messdiener in County Cork gelernt hatte, er hatte einen Bruder, der Jesuit im Kongo war, und eine Schwester, die an der Elfenbeinküste in einem Klosterkrankenhaus arbeitete. Dann die Lincoln-Dittmann-Legende, da waren Sie in Pennsylvania groß geworden und haben Geschichte an einem Junior College unterrichtet. Dazu gehörten auch allerlei Anekdoten, wie die von einer Polizeirazzia auf einem High-School-Abschlussball in Scranton oder von einem Onkel Manny in Jonestown, der während des Zweiten Weltkrieges mit der Herstellung von Unterwäsche für die Army ein kleines Vermögen gemacht hat. In dieser Inkarnation hatten Sie jedes Schlachtfeld des amerikanischen Bürgerkriegs besichtigt, das östlich des Mississippi liegt. Sie hatten in Ihrem Leben schon so viele Identitäten, dass Sie manchmal gesagt haben, Sie würden ab und an vergessen, welche biographischen Einzelheiten real und welche erfunden waren. Sie sind so tief in Ihre Tarngeschichten eingetaucht, haben sie so gründlich dokumentiert, so intensiv gelebt, dass die Buchhaltung nie genau wusste, auf welchen Namen Ihre Gehaltsschecks ausgestellt werden sollten. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis, Dante: Ich habe nicht nur Ihr Können bewundert, ich habe Sie auch als Person beneidet. Jeder trägt gern mal eine Maske, aber die beste Maske ist eine andere Identität, die man wechseln kann wie seine Kleidung – Decknamen, passende Biographien und schließlich (wenn man richtig gut ist) passende Persönlichkeiten und Sprachen.«
    Mit seiner Beedie malte Martin verspielt das Kreuzzeichen in die Luft. » Ave Maria, gratia plena, Dominus tecum, benedicta tu in mulieribus. «
    Kichernd winkte Fred Xing im Spiegel zu. »Könnte ich bitte die Rechnung haben?«, rief sie. Sie lächelte Martin zuckersüß an. »Ich gehe davon aus, dass Sie die Botschaft verstanden haben, die zu überbringen ich extra gekommen bin. Lassen Sie die Finger von vermissten Ehemännern, Dante.«
    »Wieso?«
    Die Frage ärgerte Fred. »Weil ich es Ihnen sage, basta. Weil wir uns, falls Sie ihn wider Erwarten doch finden sollten, gewisse Entscheidungen Sie betreffend noch einmal genauer überlegen müssten. Am Ende könnten Sie sich als fauler Apfel erweisen, Dante.«
    Er hatte nicht den leisesten Schimmer, wovon Sie da sprach.
    »Vielleicht gab es bestimmte Grenzen, die ich nicht überschreiten konnte«, sagte er, um das Gespräch in Gang zu halten, um hoffentlich herauszufinden, warum er nachts in kaltem Schweiß gebadet aufwachte.
    »Wir haben nicht Ihr Gewissen engagiert, nur Ihren Verstand und Ihren Körper. Und dann sind Sie eines schönen Tages aus Ihrer Figur ausgestiegen – aus allen Ihren Figuren – und haben, wie man so schön sagt, moralisch Stellung bezogen. Es war Ihnen entfallen, dass die Moral vielerlei Formen haben kann. Wir haben daraufhin in Langley eine Gipfelkonferenz abgehalten. Die Wahl, die wir zu treffen hatten, war unkompliziert: Wir konnten entweder Ihre Anstellung beenden oder Ihr Leben.«
    »Wie fiel die Abstimmung aus?«
    »Fifty-fifty, unglaublich aber wahr. Ich war das Zünglein an der Waage. Ich habe mich auf die Seite derjenigen geschlagen, die Ihre Anstellung beenden wollten, unter der Bedingung, dass Sie sich verpflichten, eine unserer Privatkliniken aufzusuchen.

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