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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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dass ich ohne dich nicht leben kann. Wenn du mich noch willst, finden wir bestimmt eine Lösung.«
    Estelle Kastner schnappte nach Luft. Sie begriff, dass er fürchtete, das Gespräch könnte abgehört werden. »Ich hab schon nicht mehr geglaubt, dass du dich meldest«, gab sie zu. »Wann kannst du herkommen?«
    Er war beeindruckt. »Wie wär’s mit sofort?«
    Sie nannte ihm eine Adresse auf der President Street zwischen Kingston und Brooklyn. »Es ist ein großes Einfamilienhaus. Der Eingang ist an der Seite – die Lampe über der Tür wird an sein. Ich warte dann unten in der Halle.« Für den Fall, dass das Telefon tatsächlich angezapft war, fügte Estelle hinzu: »Ich hatte noch nie was mit einem Mann, dessen Sternzeichen nicht zu meinem passt. Also was für eins bist du?«
    »Löwe.«
    »Ach was, du bist nie im Leben Löwe. Löwen sind die Selbstsicherheit in Person. Ich würde auf Steinbock tippen. Steinböcke sind impulsiv, launisch, stur wie ein Esel im positiven Sinne – wenn ihr was anfangt, bringt ihr es auch zu Ende. Ja, Steinbock gefällt mir.«
    Sie räusperte sich. »Wieso hast du es dir anders überlegt und rufst doch an?«
    Martin lachte leise. Sie fand den Klang seltsam beruhigend. Sie hörte ihn sagen: »Ich habs mir nicht anders überlegt. Ich hab meinem Herzen einen Ruck gegeben.«
    »Dann lass dich nicht aufhalten«, erwiderte sie. Sie konnte hören, wie Martin ins Telefon atmete. Kurz bevor sie auflegte, sagte sie – mehr zu sich selbst als zu ihm: »Ich hab eine Schwäche für Männer, die kein Aftershave nehmen.«

1994: MARTIN ODUM BEKOMMT SEINE LEBEN IN DEN GRIFF
    »Würden Sie bitte irgendwas sagen, damit ich die Aufnahme aussteuern kann?«
    »Was denn?«
    »Egal, irgendwas.«
    »… die stillen Kanonen, glänzend wie Gold, rumpeln sacht über Steine. Stille Kanonen, bald ist das Schweigen vorbei, bald seid ihr bereit, das blut’ge Geschäft zu beginnen.«
    »So ist’s gut. Denken Sie dran, direkt ins Mikrophon sprechen. Also, los geht’s. Fürs Protokoll: Heute ist Donnerstag, der 16. Juni 1994. Es folgt der Mitschnitt meiner ersten Sitzung mit Martin Odum. Mein Name ist Bernice Treffler. Ich leite die psychiatrische Abteilung in der Privatklinik in Bethesda, Maryland. Wenn Sie eine Pause machen wollen, Mr. Odum, winken Sie kurz. Woher stammten übrigens die Zeilen eben?«
    »Aus einem von Walter Whitmans Gedichten über den Bürgerkrieg.«
    »Gibt es einen Grund, warum Sie ihn Walter nennen statt Walt?«
    »Ich glaube, die Leute, die ihn kannten, nannten ihn Walter.«
    »Sind Sie ein Fan von Whitman?«
    »Nein, eigentlich nicht. Bis ich eben die Zeilen aufgesagt habe, wusste ich nicht mal, dass ich sie kenne.«
    »Interessieren Sie sich für den Bürgerkrieg?«
    »Ich, Martin Odum, nicht, aber – wie soll ich das erklären? – jemand, der mir nahe steht, hat sich dafür interessiert. In einer meiner Inkarnationen hatte ich angeblich an einem Junior College Seminare über den Bürgerkrieg gegeben. Als wir uns die Legende ausgedacht haben –«
    »Entschuldigen Sie. Die CIA-Leute, die bisher bei mir waren, haben alle in Langley gearbeitet. Sie sind mein erster richtiger Undercoveragent. Was ist eine Legende?«
    »Eine erfundene Identität. Viele in der Company benutzen Legenden, vor allem, wenn sie außerhalb der USA operieren.«
    »Na, wie ich sehe, werden die Gespräche mit Ihnen meinen Wortschatz erweitern, Mr. Odum. Aber ich habe Sie vorhin unterbrochen. Erzählen Sie weiter.«
    »Wo war ich?«
    »Sie wollten was über eine Legende erzählen.«
    »Ach ja. Da ich in meiner neuen Inkarnation so etwas wie ein Experte für den Bürgerkrieg sein sollte, musste sich die Person, in die ich mich verwandelte, gründlich in das Thema einarbeiten. Sie hat ein Dutzend Bücher gelesen, viele von den Schlachtfeldern besichtigt, Seminare besucht und so weiter.«
    »Die Person? Nicht Sie?«
    »Nein.«
    »Hatte diese, ähm, Legende auch einen Namen?«
    »Dittmann, mit zwei t und zwei n. Lincoln Dittmann.«
    »Haben Sie Kopfschmerzen, Mr. Odum?«
    »Ich hab einen leichten Druck hinter den Augen. Könnten Sie wohl ein Fenster aufmachen? Es ist sehr stickig hier drin … Danke.«
    »Möchten Sie ein Aspirin?«
    »Später vielleicht.«
    »Haben Sie oft Kopfschmerzen?«
    »Mehr oder weniger oft.«
    »Hm. Was für ein Mensch war dieser Lincoln Dittmann?«
    »Die Frage verstehe ich nicht ganz.«
    »War er anders als … beispielsweise Sie? Anders als Martin Odum?«
    »Darum ging es ja gerade –

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