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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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ausgestreckt, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die zwei Männer in Zivil saßen ihm auf einer Klappsitzbank gegenüber, rauchten und blickten ihn teilnahmslos durch den Qualm hindurch an. »Wohin bringen Sie mich?«, fragte Martin, aber keiner seiner Entführer zeigte irgendeine Reaktion.
    Irgendwann mussten sie von der Ringstraße auf eine dicht befahrene Straße abgebogen sein, denn Martin spürte, dass sie in zäh fließendem Verkehr steckten. Hupen gellten um sie herum. Die beiden Männer, die Augen starr auf ihren Gefangenen gerichtet, schien das nicht zu stören. Nach gut zwanzig Minuten ging es eine Rampe hinunter – Martin merkte am Klang des Motors, dass sie in einem Gebäude waren –, dann setzte der Wagen ein Stück zurück und hielt an. Die beiden Männer stießen die hinteren Türen auf, packten Martin unter den Achseln und schleiften ihn eine Laderampe hinauf und dann durch Schwingtüren über einen langen Korridor zu einem wartenden Lastenaufzug. Die beiden Gittertüren schlossen sich, und der Aufzug fuhr mit lautem Knirschen und Quietschen aufwärts. Die Türen in den ersten vier Stockwerken waren mit Eisenstangen zugeschweißt. Im fünften Stock blieb der Aufzug mit einem Ruck stehen. Weitere Männer in Zivil zogen die Doppeltür auf, und Martin wurde von jetzt sechs Männern in Zivil in einen Raum geführt, der glänzend weiß gestrichen und in grelles Licht getaucht war. Man nahm ihm die Handschellen ab und zog ihn nackt aus, woraufhin zwei Männer, die weiße Overalls und Latexhandschuhe trugen, seine Kleidung und seinen Körper genauestens inspizierten. Eine füllige Ärztin in einem fleckigen weißen Kittel kam herein. Sie hatte eine Zigarette zwischen den Lippen baumeln und ein Stethoskop um den Hals. Sie untersuchte Martins Augen und Ohren und Rachen, hörte ihm dann Herz und Lunge ab und nahm seinen Blutdruck. Als sie mit den Fingerspitzen die angebrochene Rippe abtastete, verzog er das Gesicht. Während der ganzen Untersuchung war Martin seine Nacktheit unangenehmer als seine missliche Lage, Er konzentrierte sich auf ihre Fingernägel, die mit einem grellen, phosphoreszierenden Grün lackiert waren. Als sie ihm auf Polnisch eine Frage stellte, verstand er sie so einigermaßen. Sie wollte wissen, ob er schon mal im Krankenhaus gewesen war. Einmal, erwiderte er, wegen einer Schrapnellwunde im Kreuz und eines eingeklemmten Nervs im linken Bein, das mir noch immer wehtut, wenn ich zu viel herumlaufe. Die Ärztin hatte seine Antwort anscheinend verstanden, denn sie fuhr mit den Fingern über die Narbe im Rücken. Dann wollte sie wissen, ob er irgendwelche Medikamente nahm. Hin und wieder ein Aspirin, sagte er. Und zwischendurch?, fragte sie. Da lebe ich mit den Schmerzen, erwiderte er. Die Ärztin nickte, hakte irgendwelche Punkte auf einem Klemmbrett ab, dann unterschrieb und datierte sie das Formular und reichte es einem der Männer in Zivil. Als sie den Raum verlassen wollte, fragte Martin, ob sie Allgemeinmedizinerin oder Fachärztin sei. Die Frau schmunzelte leicht. Wenn der Sicherheitsdienst mich nicht braucht, arbeite ich als Gynäkologin, sagte sie.
    Martin durfte sich wieder anziehen. Einer der Männer in Zivil führte den Gefangenen zu einer Tür am anderen Ende des Raumes, öffnete sie und trat beiseite. Martin schlurfte in einen größeren Raum (wieder einmal hatte man die Schnürsenkel aus seinen Schuhen entfernt, so dass er nicht normal gehen konnte), der mit rustikalen Möbeln eingerichtet war, die wohl noch aus der Zeit stammten, als Stalins KGB hier Herr im Hause war. Ein kleiner, stämmiger Mann mittleren Alters, der eine getönte Sonnenbrille trug, saß hinter einem wahren Ungetüm von Schreibtisch. Der Mann deutete mit einem Nicken auf den Holzstuhl davor.
    Martin ließ sich behutsam auf dem Stuhl nieder. »Durstig«, sagte er auf Russisch.
    Der Mann schnippte mit den Fingern. Gleich darauf wurde in Reichweite des Gefangenen ein Glas Wasser auf den Schreibtisch gestellt, Martin nahm es mit beiden Händen und leerte es in einem Zug.
    »Ich bin kanadischer Staatsbürger«, sagte Martin. »Ich bestehe darauf, mit jemandem von der kanadischen Botschaft zu sprechen.«
    Der Mann hinter dem Schreibtisch drehte eine grelle Lampe so, dass Martin die Augen zusammenkneifen musste. Eine heisere Stimme drang aus dem blendenden Licht hervor. »Ihr kanadischer Pass ist auf den Namen Kafkor, Josef ausgestellt. Es handelt sich aber, wie Ihnen sicherlich bekannt ist, um eine Fälschung.

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