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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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sehen, wie ein untersetzter Mann mit silbernem Haar und einer dunklen Brille im Fond einer Limousine über die getönte Scheibe hinwegblickte, die eine Faust breit geöffnet war. Auf dem letzten Bild rollte eine Dampfwalze über den glänzenden Teer, von dem ein leichter Rauch aufstieg. Arbeiter standen auf Harken und Schaufeln gelehnt dabei und schauten entsetzt auf die Hinrichtungsstätte.
    »Einer der Arbeiter in dem Bautrupp, genauer gesagt, der Schweißer, hat für unsere Sicherheitsdienste gearbeitet«, sagte der Mann hinter dem Schreibtisch. »Er hatte eine Kamera im Boden seiner Thermosflasche eingebaut. Erkennen Sie sich auf diesen Fotos wieder, gospodin Kafkor?«
    Ein einzelnes Wort bahnte sich seinen Weg aus Martins ausgetrockneter Kehle. » Njet. «
    Der Mann schaltete das Licht aus. Martin spürte, wie sich die Welt schwindelerregend unter seinen Füßen drehte. Seine Lider schlossen sich, und seine Stirn sank auf eins der Fotos. Der Mann auf der anderen Schreibtischseite brach das Schweigen nicht, bis der Gefangene sich wieder aufrichtete.
    Martin hörte sich selbst fragen: »Wann ist das alles passiert?«
    »Es ist lange her.«
    Martin fiel gegen die Rückenlehne des Stuhls. »Für mich«, stellte er müde fest, »ist gestern lange her, und vorgestern ist eine frühere Inkarnation.«
    »Die Fotos wurden 1994 aufgenommen«, sagte sein Gegenüber.
    Martin hauchte: »Vor drei Jahren!« Er massierte sich die Stirn und versuchte, die Teilchen dieses merkwürdigen Puzzles zusammenzusetzen, doch wie er sie auch drehte und wendete, es ergab sich kein erkennbares Bild. »Was ist passiert, nachdem der Mann da lebendig begraben wurde?«, fragte er.
    »Nachdem wir die Fotos gesehen hatten, beschlossen wir, eine Operation durchzuführen, um ihn zu befreien – um Sie zu befreien –, in der Hoffnung, dass Sie noch am Leben waren. Als wir zum Hinrichtungsort kamen, mitten in der Nacht, hatten die Bauern unter Führung des Dorfpriesters den Asphalt bereits aufgebrochen, die Bohlen entfernt und den Mann aus dem Loch geholt. Wir haben ihnen nur noch geholfen, alles wieder schön zuzumachen, bevor es hell wurde.«
    »Und was ist aus … dem Mann geworden?«
    »Der Besitzer der Traktorwerkstatt in dem Dorf hat Sie in einem Abschleppwagen nach Moskau gebracht. Er wollte Sie in ein Krankenhaus bringen. An einer roten Ampel auf der Ringstraße, nicht weit von der amerikanischen Botschaft, sind Sie aus dem Wagen gesprungen und in der Dunkelheit verschwunden. Weder die Polizei noch wir haben danach irgendeine Spur von Ihnen entdecken können. Sie waren wie vom Erdboden verschluckt – bis heute, bis die Passkontrolle am Flughafen uns verständigt hat, dass ein Kanadier namens Josef Kafkor eingereist sei. Wir vermuteten, dass Sie nach Prigorodnaja wollten, deshalb haben wir auch die Straßensperre errichten lassen – um Sie auf dem Rückweg abzufangen.«
    Ein Sekretär kam herein und flüsterte dem Mann etwas ins Ohr. Sichtlich verärgert fragte der: »Wann war das?« Dann: »Wie hat er das bloß erfahren?« Kopfschüttelnd wandte sich der Mann wieder an Martin. »Der CIA-Stationschef in Moskau weiß, dass Sie hier bei uns sind. Er verlangt offiziell, dass wir Sie an seine Behörde ausliefern, wenn wir mit Ihnen fertig sind. Zur Befragung.«
    »Wieso will die CIA Josef Kafkor befragen?«
    »Um herauszufinden, ob Sie uns verraten konnten, was wir wissen wollen.«
    »Und was wollen Sie wissen?«
    »Auf wessen Seite standen Samat Ugor-Shilow und der Oligarch Tsvetan Ugor-Shilow? Und wo sind sie jetzt?«
    »Samat hat Zuflucht in einer jüdischen Siedlung im Westjordanland gefunden.«
    Der Mann nahm vorsichtig seine Brille ab und putzte die Gläser mit der Spitze seiner Seidenkrawatte. »Bringen Sie uns Tee«, wies er seinen Sekretär an. »Und diese Brioches mit der Feigenmarmelade.« Er setzte die Brille wieder auf, sammelte die fünf Fotos ein und schob sie zurück in die Akte. » Gospodin Kafkor, der russische Sicherheitsdienst hat einen viel zu kleinen Etat. Wir sind unterbesetzt, und wir werden unterschätzt, aber wir sind keine Dummköpfe. Dass Samat in Israel Zuflucht gesucht hat, wissen wir schon lange. Wir waren mit dem israelischen Mossad in Verhandlungen, um Zugriff auf ihn zu bekommen, als er erfuhr, dass tschetschenische Auftragskiller ihn in Israel aufgespürt hatten. Deshalb ist er aus dem Land geflohen. Aber wohin?«
    Wieder blätterte er irgendwelche Berichte durch. »Er wurde im Londoner Stadtteil Golders Green

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