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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Die Kehrseite war, dass die neue Räumlichkeit ausschließlich Blick auf den riesigen Parkplatz bot, der von den unteren Chargen der CIA benutzt wurde. (Die hohen Tiere im sechsten Stock, einschließlich Crystal Quest, DDO und Chefin des Ausschusses, genossen den Luxus eines eigenen Stellplatzes in der Tiefgarage mit einem Aufzug, der sie ohne Zwischenstopp in ihr Büro beförderte.) »Man kann eben nicht alles haben«, hatte der ehemalige Stationschef gestöhnt, der den Vorsitz des Legendenausschusses führte, als er den Raum das erste Mal betrat und zum Fenster hinausblickte. Er hatte auf eine Virginia-Landschaft gehofft, nicht auf Asphalt. Um seine Enttäuschung zu verschleiern, gab er den Spruch zum Besten, der über der Bürotür der CIA-Station in Kairo geprangt hatte, die er vor vielen Jahren geleitet hatte: » Yom asal, yom basal … Einen Tag Honig, einen Tag Zwiebeln.«
    »Wie weit sind wir gekommen?«, fragte er Maggie Poole, die in Oxford Französisch studiert und den dort erworbenen britischen Akzent noch immer nicht ganz abgelegt hatte, weshalb es besonders affektiert klang, wenn sie französische Worte in die Unterhaltung einstreute.
    »In die dritte étage « , erwiderte sie jetzt, und verstand ihn absichtlich falsch, um ihn auf die Palme zu bringen. »Hier oben stehen die Trinkwasserspender auf dem Flur, nicht im Raum.«
    »Herrgott nochmal, Sie wissen genau, was ich meine. Sie wollen mich nur ärgern.«
    » Moi? « , fragte Maggie Poole in gespielter Entrüstung. »Wie kommen Sie denn darauf?«
    »Er meint«, schaltete sich der Aversionstherapeut mit Yale-Abschluss ein, »wo wir mit der neuen Legende für Dante Pippen sind.«
    Für Dante, der sich ein weiches Kissen ins Kreuz gelegt hatte, um den Druck auf die Schrapnellverletzung zu mildern, hatten diese Sitzungen Unterhaltungswert. Er konnte einen halbwegs angenehmen Nachmittag verbringen, auch wenn sein lahmes Bein und die Rückenverletzung ihm mehr oder weniger rund um die Uhr Schmerzen bereiteten. Er schloss die Augen, um sie vor der grellen Sonne zu schützen, die schräg durch die offenen Jalousien hereinfiel, und genoss die Wärme im Gesicht. »Ich habe mir gedacht«, warf er in die Runde und konnte förmlich die Knochen quietschen hören, als die alten Hasen des Legendenausschusses ihre Hälse reckten, um ihn anzublicken, »diesmal könnten wir vielleicht in Pennsylvania anfangen.«
    »Wieso Pennsylvania?«, fragte die Lexikographin, die von der Uni Chicago ausgeliehen worden war, worüber sie nur froh sein konnte: Das Tageshonorar, das die Company zahlte, musste nicht versteuert werden.
    Der Älteste im Ausschuss, ein CIA-Veteran, der bereits während des Zweiten Weltkriegs für OSS-Agenten Legenden erfunden hatte, was er nicht müde wurde zu erwähnen, setzte sich eine Nickelbrille auf die Nase und schlug die Martin-Odum-Personalakte aus dem Zentralregister auf. »Gegen Pennsylvania«, sagte er und spähte dabei angestrengt auf die kleine Schrift des Lebenslaufes, »ist nichts einzuwenden. Mr. Pippens Vorgänger, Martin Odum, verbrachte die ersten acht Jahre seines Lebens in Pennsylvania, in einem kleinen Ort namens Jonestown. Seine Mutter stammte aus Polen, sein Vater hatte eine kleine Fabrik, wo er Unterwäsche für die Army herstellte.«
    »Von Jonestown aus konnte man mit dem Auto gut eine Reihe von Schlachtfeldern aus dem Bürgerkrieg erreichen. Als er in der Grundschule war, hat er ein paar davon mit seinem Vater besucht«, ergänzte Dante, der etwas abseits an der Wand saß. »Am besten gefiel ihm Fredericksburg, wo er zwei- oder dreimal war.«
    »Kann jemand, der ein paar Mal Fredericksburg besucht hat, Experte für den Bürgerkrieg werden?«, fragte Maggie Poole aufgeregt, weil sie ahnte, worauf das Ganze hinauslaufen sollte.
    »Martin war auf jeden Fall ein Experte für Fredericksburg«, sagte Dante lachend. Er hatte die Augen noch immer fest geschlossen, das Erfinden von Legenden machte ihm wieder sichtlich Spaß. So ähnlich musste es sein, einen Roman zu schreiben, stellte er sich vor.
    »Seine Geschichten über die Schlacht waren derart anschaulich, dass mancher, der sie hörte, ihn im Scherz fragte, ob er im Bürgerkrieg dabei gewesen war.«
    »Können Sie uns ein Beispiel nennen?«, fragte der Vorsitzende.
    »Er wusste zum Beispiel, dass Bobby Lee einmal Stonewall Jackson erzählt hat, dass er in dem Haus, wo Burnside seinen Befehlsstand hatte – Chatham Mansion auf der anderen Seite des Rappahannock –, dreißig Jahre

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