Die kalte Legende
Farmer dort haben die Speicher voll mit Sachen aus dem Bürgerkrieg, und Lincolns Vater wird von jeder Geschäftsreise irgendwas mitgebracht haben.«
»Wenn ich Orden sammeln würde«, sagte Pippen, »dann nur welche aus der Unionsarmee. Die Konföderiertenarmee hat keine Orden verliehen.«
»Was hat die Soldaten motiviert, wenn sie keine Aussicht auf Orden hatten?«
»Sie haben für eine Sache gekämpft, an die sie geglaubt haben«, sagte Pippen.
»Die haben die Sklaverei verteidigt, verdammt noch mal –«
»Die meisten Soldaten der Konföderation hatten gar keine eigenen Sklaven«, sagte Pippen. (Martin fiel einiges wieder ein, was er vor vielen Jahren bei seinen Besuchen in Fredericksburg gelernt hatte.)
»Sie wollten sich vom Norden keine Vorschriften machen lassen, dafür haben sie gekämpft. Außerdem hatte Lincoln – ich meine Abraham, den Präsidenten –, als der Krieg anfing, gar nicht die Absicht, die Sklaverei abzuschaffen. Das hätte keiner auf beiden Seiten der Mason-Dixon-Linie akzeptiert, weil keiner wusste, was mit den Millionen von Sklaven in den Südstaaten passieren sollte, wenn sie freigelassen würden. Die Yankees fürchteten, die freigelassenen Sklaven könnten scharenweise in den Norden kommen und ihnen die Fabrikjobs wegnehmen, weil sie für niedrigere Löhne arbeiten würden. Im Süden fürchtete man, sie würden Land pachten und Baumwolle anbauen, die sie preiswerter anbieten könnten als die Plantagenbesitzer. Oder schlimmer noch, sie würden wählen gehen.«
»Er kennt sich ja jetzt schon hervorragend mit dem Bürgerkrieg aus.«
»Unser Lincoln Dittmann sollte irgendwann mal Lehrer oder so etwas gewesen sein, meinen Sie nicht?«
»Ja, er könnte an einem College amerikanische Geschichte mit Schwerpunkt Bürgerkrieg gelehrt haben.«
»Das Problem ist nur, als Hochschuldozent braucht man mindestens einen Doktortitel.«
»Dann war er eben an einem Junior College, dafür braucht man keinen Doktor.«
»Es würde ihm noch mehr Glaubwürdigkeit verleihen, wenn er ein Buch über den Bürgerkrieg schreiben würde.«
»Moment mal«, sagte Pippen. »Ich glaube, dafür hab ich nicht das erforderliche Stehvermögen.«
»Stehvermögen allein genügt nicht. Ich weiß das, weil ich drei Bücher geschrieben habe. Man braucht Enthusiasmus, sonst verliert man sich in der Vielfalt der Möglichkeiten.«
»Wir könnten das Buch von jemand anderem schreiben lassen und veröffentlichen es unter Ihrem Namen in einem kleinen Universitätsverlag, der uns noch einen Gefallen schuldet. ›Die Schlacht von Fredericksburg‹, von Lincoln Dittmann.«
»Ich habe den idealen Titel: ›Kanonenfutter‹. Und als Untertitel: ›Die Schlacht von Fredericksburg‹.«
»Meine Güte, wir wollen uns doch nicht mit dem Titel aufhalten.«
»Was sagen Sie dazu, Mr. Pippen?«
»Eine phantastische Tarnung. Einen Waffenhändler, der einmal die Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs an einem Junior College unterrichtet hat, wird wohl niemand verdächtigen, bei der CIA zu sein.«
»Der Legende fehlt aber noch etwas.«
»Was?«
»Ja, was?«
»Das Motiv. Warum ist Lincoln Dittmann so tief gesunken? Warum lässt er sich mit dem Abschaum der Welt ein, mit Leuten, die keine Freunde Amerikas sind?«
»Weil er sauer auf Amerika ist.«
»Warum? Warum ist er sauer auf Amerika?«
»Weil er sich irgendwie Ärger eingehandelt hat. Irgendwas Peinliches.«
Dante schaltete sich ein. »Ich habe nichts gegen Peinlichkeiten. Aber macht aus Lincoln Dittmann bitte keinen heimlichen Transvestiten oder so.«
»Keine Sorge, Mr. Pippen.«
»Wie wär’s mit einem Plagiatsvorwurf?«
»Er hat ›Kanonenfutter‹ aus einer Dissertation abgekupfert, die in den Zwanzigern oder Dreißigern verfasst wurde und die er im Archiv einer Bibliothek gefunden hat.«
»Das würde die Sache für uns einfacher machen. Wir müssten niemanden dafür bezahlen, das Buch über Fredericksburg zu schreiben, wir bräuchten nur irgendeine Dissertation über den Bürgerkrieg zu suchen – davon verstauben bestimmt Tausende auf Bibliotheksregalen – und daraus abschreiben.«
»Ist mal wieder typisch«, stöhnte Dante. »Endlich hab ich Aussicht, Buchautor zu werden, und schon stellt sich raus, dass ich es abgeschrieben habe.«
»Dann vielleicht doch lieber Transvestit.«
»Schon gut, ich nehme den Plagiator.«
»Ein Redakteur einer historischen Fachzeitschrift – der einen anonymen Tipp bekommen hat – könnte Dittmann auffliegen lassen,
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