Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell

Vom Netzwerk:

woraufhin der seine Dozentenstelle verliert.«
    »Sein akademischer Ruf wäre dahin.«
    »Keine Uni würde ihn mehr einstellen.«
    »Das klingt doch schon prima. Die Colleges üben massiven Druck aus, wer nichts veröffentlicht, wird abserviert, und sie erwarten, dass man die Lehre nicht vernachlässigt und gefälligst in der Freizeit forscht.«
    »Die Erfahrung hat aus Lincoln Dittmann einen verbitterten Zyniker gemacht. Er wollte es dem College, dem System, dem Land heimzahlen.«
    »Ich würde sagen, Ladys und Gentlemen, die Sache ist so gut wie unter Dach und Fach. Jetzt muss sie nur noch bei Crystal Quest höchstselbst auf Wohlwollen stoßen.«
    Dante Pippen griff nach dem Gehstock, der an der Wand lehnte, und setzte ihn auf, um sich von seinem Stuhl zu erheben. Ein dumpfer Schmerz fuhr ihm durchs Kreuz in das lahme Bein hinab, aber in seiner Hochstimmung nahm er ihn kaum wahr. »Ich glaube, Crystal Quest wird mit der Lincoln-Dittmann-Legende sehr zufrieden sein«, sagte er zu den Ausschussmitgliedern. »Ich jedenfalls bin’s.«

1991: LINCOLN DITTMANN AGIERT IN DEN WINKELN DES DREIECKS
    »Wie sind Sie in die Waffenbranche gekommen?«, wollte der Ägypter wissen.
    »Das würden Sie mir sowieso nicht glauben«, erwiderte Lincoln Dittmann.
    »Wenn ich Ihnen nicht glaube«, sagte der kleine Amerikaner mit den silberbeschlagenen Cowboystiefeln, der Röhrenjeans und den gegelten Haaren, »stecken Sie bis zum Hals in der Scheiße.« Er hatte einen so breiten texanischen Akzent, dass Lincoln Mühe hatte, ihn zu verstehen.
    Der Ägypter und der Texaner, ein seltsames Gespann in dieser gottverlassenen paraguayischen Stadt an der Grenze zu Brasilien, lachten leise, doch ohne einen Hauch von Belustigung in der Stimme. Lincoln, der sich auf dem Sofa rekelte, das lahme Bein vor sich ausgestreckt, den Stock in Reichweite, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, lachte mit. »Ich habe an einem Junior College die Geschichte des amerikanischen Bürgerkriegs gelehrt«, sagte er. »Mein Spezialgebiet – ich hab auch ein Buch darüber geschrieben – war die Schlacht von Fredericksburg. Nebenbei hab ich Waffen aus dem Bürgerkrieg gesammelt. Mein Prunkstück ist eine englische Whitworth, eine Rarität.«
    »Das ist ein Scharfschützengewehr, nicht?«, sagte der Texaner.
    Lincoln blickte beeindruckt. »Es gibt nicht viele Leute, die eine Whitworth von einem gewöhnlichen Enfield-Gewehr unterscheiden können.«
    »Mein Vater hatte eine«, sagte der Texaner stolz. »Das FBI hat sie beschlagnahmt, zusammen mit seinen anderen Knarren, als sie ihn hopsgenommen haben, weil er in Alabama eine Niggerkirche abgefackelt hatte.« Er legte den Kopf in den Nacken und betrachtete Lincoln misstrauisch. Er hatte sich als Leroy Streeter vorgestellt, als er Lincoln auf der anderen Seite der Grenze in Foz do Iguaçú vor der Moschee mit dem goldfarbenen Dach abgeholt hatte. Jetzt sagte er: »Beschreiben Sie Ihre Whitworth.«
    Lincoln schmunzelte. In Langley hatten sie vom FBI erfahren, dass Leroy Streeters Vater einmal eine Whitworth aus dem Bürgerkrieg besessen hatte. Sie waren davon ausgegangen, dass sich sein Sohn mit der Waffe auskennen würde. Falls Leroys Frage als Glaubwürdigkeitstest gedacht war, dann stellte er sich ganz schön stümperhaft an. Ein Undercoveragent würde keinen Namen fallen lassen – nicht mal den Namen eines altertümlichen Gewehrs –, wenn er kein Hintergrundwissen hatte. Lincoln besaß tatsächlich eine Whitworth. Eine Sammlung von Bürgerkriegswaffen gehörte nun mal zu der Dittmann-Legende dazu. Er hatte sich sogar Patronen gebastelt und auf dem Gelände einer ehemaligen Müllkippe in New Jersey ausprobiert, ob die Büchse wirklich so präzise war, wie ihr nachgesagt wurde. Sie war es. »Mr. Whitworths Gewehr«, sagte er zu Leroy, »hatte auf dem sechseckigen Lauf ein werkmäßig montiertes Messingzielfernrohr. Bei den Whitworths, die es heute noch gibt, ist das Zielfernrohr meistens nicht mehr vorhanden, nicht mal in Museen. Meine hat obendrein noch den Original-Messingpfropfen für den Lauf als Schutz vor Feuchtigkeit und Staub. Am Zielfernrohr befinden sich kleine gravierte Rädchen zum Ausrichten der Waffe und zum Korrigieren von seitlichen Abweichungen und Höhenabweichungen.«
    Während er sprach, blickte Lincoln den Ägypter an, der hier offenbar das Sagen hatte. Er war nicht vorgestellt worden – aber Lincoln konnte sich denken, wer er war. In der Briefing-Akte des FBI in Washington hatte sich ein etwas