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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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Graupners Kulturen. Es waren etwa sechsjährige Nordmanntannen, ein Baum wie der andere gewachsen. Nicht so schön wie ihre eigenen gewesen waren, aber durchaus ordentliche Exemplare. Aus einem Feldweg bog ein Portaltraktor vor ihr auf die Straße ein.
    »Mama, was ist das für ein Traktor?« Felix hatte das rot lackierte Ungetüm auch entdeckt.
    »Der nennt sich ‚Highlander’. Damit kannst du alles in der Weihnachtsbaumkultur machen, Düngen, Spritzen, Bodenlockerung . . .«
    »Auch Formschnitt?«
    Gesa lächelte. Felix war schon ein richtiger kleiner Nadelbaumexperte. »Na klar.«
    »Wahnsinn. Da möchte ich mal mitfahren. Sitzt man da über den Tannenspitzen?«
    »Du sitzt auf zweieinhalb Meter Höhe und kannst alles gut überblicken.«
    Felix hatte sein Hundebaby vergessen. »Toll. Von wem ist der Highlander?«
    »Na, von Herbert Graupner vermutlich. Er fährt ihn wohl in seine Halle, jetzt wo es dunkel wird.«
    »Mama, warum haben wir nicht so einen?«
    »Ach du liebe Güte!« Gesa lachte auf. »Weißt du, was so ein Ding kostet?«
    »Wie viel denn? Eine Million?«
    »Nein, so viel nicht. Aber auf jeden Fall mehr, als wir bezahlen könnten.«
    Gesa überholte den Traktor und sah im Rückspiegel Herbert Graupner auf dem Führerstand. Sie winkte nicht. Felix plapperte weiter, aber Gesa hörte nicht zu. Sie sah Karoline Schäffers unruhige grüne Augen vor sich. Lars’ Frau war schön, aber glücklich und entspannt hatte sie nicht gewirkt.
    Sie zwang sich dazu, an etwas anderes zu denken. Tannen. Wann würde Graupner aus dieser Kultur ernten? Nächstes, übernächstes Jahr. Graupner konnte sich einen Highlander leisten. Graupner hatte in diesem Jahr keinen Ernteausfall. Er würde vor dem Rathaus seine Nordmänner verkaufen.
     
    Abends stand Gesa mit ihrer Mutter in der Küche. Der erste Advent nahte, und eine Adventszeit ohne Selbstgebackenes war für Anna undenkbar. Gesa war überhaupt nicht nach Weihnachten zumute, und sie hasste das mühselige Bepinseln von Zimtsternen. Aber statt sich zu beschweren, hatte sie sich auf ihre Art gerächt. Anna wusste nur noch nichts davon. Es war schon zehn Uhr abends und ein Vierzehn-Stunden-Arbeitstag lag hinter ihnen. Zwischendurch war Gesa beim Friseur gewesen, obwohl sie ein schlechtes Gewissen hatte, die Arbeit zu unterbrechen. Aber sie mochte sich selbst nicht mehr sehen.
    Sie hatten fünfhundert Lasiocarpa und ebenso viele Coloradotannen geschlagen, in Netze verpackt und palettiert. Männerarbeit, wie Wolf sagte. Er lehnte es ab, dass Gesa beim Ernten half. Aber es war einer der Konflikte zwischen ihnen, bei denen Gesa gesiegt hatte, denn sie besaß Vaters Erlaubnis. Sie würde diesen Betrieb erben. Und bei der Ernte, in den entscheidenden Wochen des Jahres, stand sie ihren Mann.
    Obwohl sie einen neuen Weihnachtsbaum-Cutter angeschafft hatten, der das Abholzen erleichterte, schmerzte ihr Rücken, als sie sich nun über die Plätzchen beugte und die klebrige Zuckerglasur mit einem Pinsel auftrug.
    Gesa hörte Konrads und Wolfs erregte Stimmen im Wohnzimmer, ohne ihre Worte zu verstehen. Sie stritten sich wieder. Alle paar Tage prallten sie aufeinander, aber Gesa erfuhr nicht, um was es ging. Vermutlich hatten sie unterschiedliche Vorstellungen, wie sie die drohende Pleite abwenden wollten.
    »Mama . . .« Gesa ließ den Pinsel sinken und blickte erst Anna an, dann zur Wand, hinter der sich die Männer befanden. »Worum geht es denn jetzt schon wieder?«
    »Männersachen.« Anna wischte die Hände an der Schürze ab. »Da ist noch eine Schüssel Teig in der Kammer. Ich hol sie schnell.«
    »Warte. Hat Konrad dir was erzählt? Geht es um den Hof?«
    »Mir? Bist du noch bei Trost?« Sie war schon bei der Tür. »Pass auf das obere Blech auf. Die Kipferl werden schnell zu dunkel.«
    Gesa zählte die Sekunden, bis sie Anna rufen hörte. »Wo ist denn die Schüssel? Ich hatte sie doch . . .«
    Gesa nahm die Schürze ab und legte sie über einen Stuhl. Den Schweinen der Martinis auf dem Nachbarhof hatte der Teig gut geschmeckt. Nun war Schluss mit dem Backen.
    Annas Jammern drang durch den Flur. »Das gibt es doch gar nicht! Ich bin sicher, ich hatte die Schüssel hier ins Regal gestellt!«
    Gesa hörte die Tür des Wohnzimmers zuschlagen und Wolfs schwere Schritte auf der Treppe, dann erschall ohrenbetäubend laut Dvoraks ‚Symphonie aus der neuen Welt’, Konrads Lieblingsmusik.
    Gesa blickte in den Schrank und inspizierte die Tassen. Alle standen korrekt da, zu zweit in

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