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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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einander gestapelt. Alles war in Ordnung. Anna war diejenige, die gerade an ihrem Verstand zweifelte. Dabei wollte sie doch nur das Beste für alle. Weihnachten, das Fest des Friedens und der Freude. Machet die Herzen weit, es kommet der Herr der Herrlichkeit. Gesas Herz war eng und wie eingeschnürt in ihrer Brust.
    Sie beugte sich zum Ofen hinunter und sah durch die Glasscheibe zu, wie die Vanillekipferl langsam verbrannten.
    29. November
    Fünf Tage später, am Morgen des ersten Adventssonntags, kam Gesa in die Küche, wo Anna schon in der riesigen Pfanne Spiegeleier briet. Es war eines von Annas streng einzuhaltenden Ritualen, dass die Familie vor der Messe gemeinsam in der elterlichen Küche frühstückte.
    »Wo ist Konrad?«, fragte Gesa und goss sich einen Kaffee ein.
    »Im Bett.« Anna schob ein Ei in der Pfanne zur Seite, um Platz für ein weiteres zu schaffen. »Weiß auch nicht, was mit ihm los ist. Dabei haben wir erst Ende November und die Haupterntezeit kommt noch. Was soll das werden, wenn er jetzt schon schlapp macht?«
    »Er ist nicht mehr der Jüngste, Mama.«
    »Er ist so alt wie ich. Ich arbeite auch den lieben langen Tag. Und? Siehst du mich etwa faul in den Federn liegen?«
    »Dich doch nicht.« Gesa blickte in die Pfanne, in der schon drei fertige Spiegeleier brutzelten. »Soll ich Felix wecken?«
    »Nein, lass das Kind mal ausschlafen. Die Schule ist so anstrengend für ihn. Und ich glaube, er kriegt eine Erkältung.«
    Gesa lächelte.
    Wolf kam herein und drehte das Radio an. »Morgen.«
    „Zwei oder drei Eier?“ Anna kam mit der Pfanne zu Wolfs Platz.
    »Drei.« Wolf nahm eine Scheibe Brot. »Wo ist Konrad?«
    »Schläft noch«, sagte Anna und platzierte die Eier auf Wolfs Teller. »Ihm ist wohl nicht gut.«
    Wolf runzelte die Stirn und schob mit dem Messer ein Ei auf die Brotscheibe. »Er soll heute mal ausspannen. Ab morgen sind alle Polen da, und wir sind gut in der Zeit.« Er biss ab, die warme Butter tropfte am Ei herab auf den Teller. »Sag du ihm das«, meinte er zu Gesa. »Auf dich hört er noch am ehesten.«
    »Wer hört auf wen?« Konrad trat ein und setzte sich ans Kopfende auf seinen Stammplatz. Seine Miene war finster.
    »Wir sprachen von Felix«, sagte Gesa. »Anna meint, er habe sich erkältet. Er hört ja nicht, wenn man ihm sagt, er soll seine Jacke anziehen, bevor er raus geht. Ich glaube, in den Schulpausen läuft er auch ohne herum.«
    »Für solche lästigen Pflichten hat die heutige Jugend keine Zeit.« Konrad rieb sich über die Augen, unter denen sich dunkle Ringe befanden.
    »Und du? Wirst du auch krank?«, fragte Gesa ihren Vater.
    »Blödsinn. Ich habe nur schlecht geschlafen.« Er warf Anna einen unfreundlichen Blick zu. »Und Magenschmerzen. Kein Wunder, wenn ich abends Pilze zu essen bekomme.«
    Gesa betrachtete ihren Vater besorgt. Konrad war niemand, der viel jammerte, aber in letzter Zeit hatte er schon öfter von Magenschmerzen gesprochen.
    Anna schlug zwei frische Eier in die Pfanne, wandte sich Gesa zu und sandte einen Blick zur Decke, den Konrad nicht sehen sollte. Es war eines der Themen, über die Konrad und Anna am liebsten stritten, welche Speisen ein Magen abends gut verkraften und welche er nur schwer verdauen konnte.
    »Hör auf die Augen zu verdrehen«, sagte er. »Pilze am Abend sind absolut unverträglich.«
    Gesa hatte auf einmal ein Déjà-vu. Genauso hatten sie dagesessen, bei einem Sonntagsfrühstück Ende September mit Spiegeleiern und den Streitereien zwischen Konrad und Anna, als Gesa der Familie zum ersten Mal von ihrer Entdeckung an den dreißig Jahre alten Nordmanntannen erzählt hatte.
    »In diesem Jahr sind die Samen reif.« Sie hatte einen aufgeschnittenen Zapfen mitten auf den Tisch gelegt. Konrad, Anna und Wolf hatten den Fremdkörper zwischen den Marmeladengläsern betrachtet. »Ich könnte einen Teil selbst pflanzen. Die Baumschule vergrößern.«
    Wolf hatte Luft durch die Nase ausgestoßen. »In zehn Jahren wirst du sehen, ob was Brauchbares dabei rauskommt. Nur . . . bis dahin sind wir längst pleite.«
    »Sieh sie dir doch an, das sind Spitzensamen, echte Borshomi.«
    »Hast du ein Zertifikat?« Wolfs spöttischer Gesichtsausdruck hatte ihr wehgetan.
    »Nein.« Gesa hatte Hilfe suchend zu Konrad geblickt. »Aber wir kennen ja die Herkunft. Vater hat die Samen ja früher . . .«
    »Gar nichts kennen wir!« Konrads Gesicht war rot geworden. »Schluss mit dem Thema!«
    Wolfs Stimme riss Gesa aus den Erinnerungen: »Es will ja

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