Die Kalte Zeit
nickte. »Wir ermitteln in zwei verschiedene Richtungen. Erstens die Familie: Können Gesa oder Wolf Hendricks Konrad Verhoeven getötet haben? Jeder hat seine eigenen Zukunftspläne. Ihnen droht eine Pleite, es geht um die Existenz. Und Konrad Verhoeven stand ihren Zielen im Weg.«
»Aber gemeinsam haben sie es wohl nicht getan«, meinte Zagrosek. »Die beiden sind ja selbst zerstritten.«
»Zweitens haben wir Herbert Graupner. Warum hat er uns nicht erzählt, dass er mit Verhoeven eng befreundet war?«
»Dieser Vorfall mit dem toten Pflücker in Georgien. Ich hatte das Gefühl, er wollte nicht darüber reden.«
»Da sollten wir noch mal nachhaken.«
Zagrosek nickte.
Nellessen kam herein. »Wusstet ihr, dass es eine eigene Fachzeitschrift für die Weihnachtsbaum- und Schnittgrünbranche gibt? Nennt sich ‚Nadel Journal’.«
Blessing lächelte. »Es gibt für alles auf dieser Welt eine Fachzeitschrift. Ich kenn eine, die heißt ‚Flüssiges Obst’.«
Nellessen reichte ihnen ein Papier. »Hier ist ein Artikel über die Herkunft von Tannensamen. ‚Unabhängigkeit von Georgien’.«
Blessing las laut: „Anders als ihr Name vermuten lässt, kommt die Nordmanntanne, lateinisch Abies nordmanniana , nicht aus dem Norden, sondern vielmehr aus dem Südosten: Ihre Heimat liegt im Kaukasus und deutsche Baumschulen sind nach wie vor auf frische Samen aus der Region angewiesen. Schätzungsweise zwölf bis achtzehn Tonnen Tannensamen exportiert Georgien derzeit jährlich, davon gehen je die Hälfte nach Deutschland und Dänemark. Bis aus den Sämlingen ein marktreifer Weihnachtsbaum gewachsen ist, vergehen knapp zehn Jahre. Frühestens nach vier Jahren kann man feststellen, ob sie gut gewachsen sind. Die Einkäufer müssen also die Qualität des Saatguts genau kennen. Das ist in einem Land, in dem Korruption an der Tagesordnung ist, nicht ohne Risiko. Immer wieder werden billige Samen zweifelhafter Herkunft angeboten . . .«
Blessings Diensttelefon klingelte. Maxi steckte den Kopf durch die Tür. »Ich werd diese Telefonanlage nie begreifen! Nimm bitte mal ab, das ist Frau Schulz.«
»Wiebke Blessing? . . . Hallo.« Ihr Gesicht nahm einen angespannten Ausdruck an. »Ist gut. Ich komme. Bis gleich.« Sie stand auf und ging zur Tür. »Entschuldigt, wird nicht lange dauern.«
Als sie draußen war, runzelte Nellessen die Stirn. Frau Schulz war die Sekretärin von Rothenburg. »Was läuft da eigentlich?«
»Keine Ahnung«, meinte Zagrosek.
Eine halbe Stunde später machten sich Zagrosek und Blessing erneut auf dem Weg zu Herbert Graupner. Blessing war still und wirkte nachdenklich. Zagrosek wollte sie nicht aushorchen. Wenn es was zu erzählen gab, würde sie schon damit rausrücken.
»Roland Graupner hat übrigens ein Alibi«, sagte sie unvermittelt. »Ich hab diesen Freund angerufen. Er bestätigt, dass sie den ganzen Abend in seiner Garage gehockt haben.«
»Wer ist Roland?«
»Rocco.«
»Ach so.« Zagrosek grinste. Der Wagen schlingerte und er ging vom Gas. Hier auf der Landstraße hatte sich eine Eisschicht gebildet, es war wieder kälter geworden.
Wiebke Blessing sah ihn von der Seite an. »Tom, ich habe vorhin Bescheid bekommen. Ich werde befördert.«
»Du wirst . . . Dienststellenleiterin?«
Blessing nickte.
Zagrosek lächelte und schüttelte den Kopf. Blessing wurde seine Chefin. Besser Blessing als Nellessen, war sein spontaner Gedanke zu der Neuigkeit. Aber Blessing war als letzte ins Team gekommen. War das gerecht, sie als erste zu befördern? Ging es überhaupt um Gerechtigkeit bei solchen Entscheidungen? Natürlich nicht. Nellessen war sich sicher gewesen, dass er den Posten kriegt und hatte das schon in der Gegend herum posaunt. Er würde sich furchtbar aufregen. Lammert hatte sich insgeheim auch Hoffnungen gemacht. Nun wurde ihnen eine Frau vor die Nase gesetzt. Dazu noch eine jüngere. Eine Frau allerdings, die viel von ihrem Job verstand und genau wusste, was sie wollte.
»Ich gratuliere dir«, sagte Zagrosek herzlich. »Ich glaube, du wirst das gut machen.«
»Danke, Tom. Ich weiß, dass du es ehrlich meinst.« Sie blickte aus dem Fenster. »Mit den anderen wird es schwierig.«
»Klar, die Jungs werden enttäuscht sein. Aber die kriegen sich auch wieder ein.«
Blessing lächelte unsicher. »Na, das hoffe ich.«
Sie erreichten Graupners Hof. Herbert Graupner schloss gerade die Haustür ab und kam ihnen in Winterjacke und Lederhut entgegen.
»Ich hoffe, Sie wollen nicht zu mir«,
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