Die Kameliendame
verlassen können.'
Ich blickte Prudence erstaunt an und fragte mich, ob sie sich über mich lustig mache. Aber ihr Gesicht war ernst.
,Werden Sie Marguerite adieu sagen?' begann sie wieder sehr ernst. ,Nein.'
,Das ist auch gut so.' ,Finden Sie?'
,Natürlich. Sie haben mit ihr gebrochen, warum also ein Wiedersehen?'
,Sie wissen von unserem Bruch?' ,Sie hat mir Ihren Brief gezeigt.' ,Und was hat sie gesagt?'
,Sie sagte: Meine liebe Prudence, Ihr Schützling ist nicht höflich. Solche Brief denkt man, aber man schreibt sie nicht.' ,Und in welchem Ton sagte sie das?'
,Lächelnd, und sie fügte hinzu: Er hat zweimal bei mir gegessen, aber er hat mir nicht einmal einen Dankesbesuch gemacht.'
Das also war die Wirkung meines Briefes und meiner Eifersucht.
Ich war aus meinem Liebeswahn grausam in die Wirklichkeit gestürzt worden. ,Und was hat sie gestern abend gemacht?'
,Sie war in der Opera.' ,Ich weiß. Und dann?' ,Hat sie zu Hause zu Abend gegessen.' ,Alleine?'
,Ich glaube, mit dem Grafen von G...' So hatte mein Verhalten also keine Veränderung in Marguerites Lebensgewohnheiten gebracht. Deshalb sagt man: ,Vergiß die Frau, die dich nicht liebt!'
,Nun, ich bin sehr zufrieden, daß Marguerite nicht die Untröstliche spielt', begann ich wieder mit ungezwungenem Lächeln.
,Sie hat auch keinen Grund dazu. Sie haben getan, was Sie tun mußten, und haben vernünftiger gehandelt als sie. Denn dieses Mädchen liebt Sie. Sie sprach nur von Ihnen und wäre zu einer Dummheit fähig gewesen.'
,Warum hat sie mir nicht geantwortet, wenn sie mich liebt?' ,Weil sie einsah, daß es ein Irrtum war, Sie zu lieben. Frauen erlauben manchmal, daß man sie betrügt, aber nie, daß man ihre Eigenliebe verletzt. Und das tut man, wenn man sie, aus welchem Grunde auch immer, zwei Tage, nachdem man ihr Geliebter wurde, verläßt. Ich kenne Marguerite. Sie würde lieber sterben, als Ihnen schreiben.' ,Was muß ich also tun?'
,Nichts. Marguerite wird Sie vergessen. Auch Sie werden sie vergessen. Und keiner hat dem ändern etwas vorzuwerfen.' ,Aber wenn ich ihr schreibe und sie um Verzeihung bitte?' ,Sie wird Ihnen sicher verzeihen.'
Am liebsten wäre ich Prudence um den Hals gefallen. Eine Viertelstunde später war ich zu Hause und schrieb an Marguerite:
,Jemand, der einen Brief, den er gestern schrieb, zutiefst bereut, der morgen abreisen wird, wenn Sie ihm nicht verzeihen, möchte fragen, wann er Ihnen seine Reue zu Füßen legen darf.
Wann kann er Sie alleine treffen? Denn Sie wissen, Geständnisse sind nichts für fremde Ohren.'
Ich faltete dieses Prosa-Madrigal zusammen und schickte Joseph damit fort.
Er übergab ihr den Brief persönlich, und sie ließ sagen, sie würde später antworten.
Ich verließ meine "Wohnung nur kurz, um zu essen. Um elf Uhr abends hatte ich noch immer keine Antwort. Da beschloß ich, nicht noch länger zu warten und morgen abzureisen. Deshalb, und weil ich wußte, daß ich doch nicht schlafen könnte, wenn ich zu Bett ginge, packte ich meine Koffer.
XV
Es war ungefähr ein Uhr, Joseph und ich waren mit den Reisevorbereitungen beschäftigt. Da läutete es heftig an meiner Tür.
,Soll ich öffnen?' fragte Joseph.
,Mach auf, antwortete ich und war gespannt, wer zu dieser Stunde zu mir kommen könnte. Ich wagte nicht zu glauben, daß es Marguerite sei. Joseph kam wieder und sagte: ,Es sind zwei Damen.'
,Wir sind es, Armand', rief eine Stimme. Ich erkannte Prudence und eilte hinaus.
Prudence betrachtete stehend einige Kostbarkeiten in meinem Salon.
Marguerite saß nachdenklich auf dem Kanapee. Ich eilte zu ihr, kniete vor ihr nieder, ergriff ihre beiden Hände und sagte bewegt: ,Verzeihung.' Sie küßte mich auf die Stirn und
entgegnete: ,Nun habe ich Ihnen schon dreimal verziehen.'
,Ich wollte morgen abreisen.'
,Kann ich durch meinen Besuch Ihren Entschluß nicht ändern? Ich komme nicht, um Sie rascher aus Paris zu vertreiben. Ich komme, weil ich am Tage keine Zeit fand, Ihnen zu antworten, und ich wollte Sie nicht in dem Glauben lassen, ich sei Ihnen böse. Prudence war dagegen, daß ich Sie aufsuche. Sie meinte, wir könnten vielleicht stören.' ,Sie mich stören, Marguerite? Aber wieso?' ,Nun, Sie konnten doch Damenbesuch haben', antwortete Prudence, ,und es würde nicht sehr angenehm für diese Dame gewesen sein, wenn dann noch zwei hereingeschneit wären.'
Während Prudence diese Feststellung machte, beobachtete Marguerite mich aufmerksam.
,Meine liebe Prudence', antwortete ich, ,Sie wissen nicht, was
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