Die Kameliendame
wollen, daß wir jung sind und uns lieben. Marguerite, mach aus mir, was du willst. Ich will dein Sklave, dein Hund sein. Aber zerreiße um Gottes willen den Brief, den ich dir schrieb, und laß mich morgen nicht abreisen. Ich müßte sterben.'
Marguerite holte den Brief aus ihrem Mieder, gab ihn mir und sagte mit einem unsagbar sanften Lächeln: ,Nimm ihn, ich habe ihn dir mitgebracht.'
Ich zerriß ihn und küßte unter Tränen die Hand, die ihn mir wieder gab.
In diesem Augenblick kam Prudence zu uns zurück. .Wissen Sie, Prudence, um was er mich bittet?' fragte Marguerite.
,Er bittet Sie um Verzeihung.' ,Genau das.'
,Und Sie verzeihen ihm?'
,Ich muß ja. Aber er erbittet noch etwas.' ,Was denn?'
,Er möchte mit uns zu Abend essen.' ,Und Sie geben Ihre
Zustimmung?' ,Wie denken Sie darüber?'
,Ich denke, ihr seid wie zwei Kinder, die beide nicht wissen, was sie wollen. Aber ich denke auch daran, daß ich großen Hunger habe, und je länger Sie Ihre Zustimmung hinauszögern, desto später werden wir essen können.' ,Also gehen wir', sagte Marguerite. ,Wir haben alle drei in meinem Wagen Platz. Hier', sagte sie zu mir gewandt, ,Nanine wird schon schlafen. Sie werden uns öffnen. Nehmen Sie den Schlüssel und geben Sie acht, daß Sie ihn nicht wieder verlieren.'
Ich küßte Marguerite innig. Da kam Joseph herein.
,Die Koffer sind gepackt', sagte er mit der Miene eines Mannes, der sehr mit sich zufrieden ist. ,Alles ist eingepackt?' ,Ja.' ,Gut, dann packe wieder aus, ich reise nicht.'«
XVI
»Ich hätte Ihnen«, sagte Armand zu mir, »den Beginn dieses Verhältnisses in wenigen Worten schildern können. Aber ich wollte, daß Sie erfahren, welche Ereignisse und wie viele zwiespältige Gedanken endlich doch zum Ziele führten: ich erfülle Marguerites Wunsch, nur noch mit mir zu leben. Am Tag nach jenem Abend, an dem sie bei mir gewesen war, sandte ich ihr ,Manon Lescaut'.
Von diesem Augenblick an änderte ich, da ich das Leben meiner Geliebten nicht in andere Bahnen lenken konnte, mein Leben. Vor allem wollte ich auf keinen Fall Zeit haben, um über die Rolle, die ich angenommen hatte, nachdenken zu müssen. Trotz allen guten Willens wäre ich dadurch sehr traurig geworden. So kamen in mein Leben, das bisher so ruhig verlaufen war, plötzlich Lärm und Unordnung. Glauben Sie nicht, daß die Liebe einer ausgehaltenen Frau, so unberechnend sie auch sei, kein Geld kostet. Die vielen Blumen, die Logen, die Abendessen, die Landpartien, die man seiner Geliebten nicht abschlagen kann, sind teuer. Wie ich Ihnen schon sagte, hatte ich kein Vermögen. Mein Vater war und ist heute noch Generalsteuereinnehmer in C... Er steht in dem Ruf, ein gerechter Mann zu sein. Diesem Ruf verdankt er die Kaution, die er hinterlegen mußte, um das Amt zu erhalten. Die Steuereinnahme bringt ihm einen Jahresverdienst von vierzigtausend Francs. Seit zehn Jahren hat er das Amt, hat seine Kaution zurückgezahlt und begann dann für die Aussteuer meiner Schwester zurückzulegen. Mein Vater ist der ehrenwerteste Mann, dem man begegnen kann. Als meine Mutter starb, hinterließ sie ein Haus, das jährlich sechstausend Francs abwarf. Diesen Ertrag teilte mein Vater zwischen meiner Schwester und mir an dem gleichen Tage, als ihm auch das erstrebte Amt zugesprochen wurde. Dann, als ich einundzwanzig Jahre alt war, hatte er fünftausend Francs hinzugefügt. Er versicherte mir, ich könne mit achttausend
Francs sehr wohl in Paris leben, wenn ich mir noch eine Position als Advokat oder Arzt schaffte. Ich kam also nach Paris, ich lernte die Rechtswissenschaft, ich wurde Advokat. Wie so viele junge Menschen steckte ich mein Diplom in die Tasche und überließ mich dem sorglosen Pariser Leben. Meine Ausgaben waren sehr bescheiden. Trotzdem verbrauchte ich in acht Monaten mein Geld für ein Jahr und lebte die vier Sommermonate bei meinem Vater auf dem Lande. So hatte ich eigentlich zwölf tausend Francs, genoß den Ruf eines guten Sohnes und hatte nicht einen Sous Schulden. So standen die Dinge, als ich Marguerites Bekanntschaft machte. Sie begreifen, daß dadurch natürlich meine Lebenskosten stiegen. Marguerite war eine sehr kapriziöse Natur. Sie gehörte zu den Frauen, die sich niemals Gedanken darüber machen, wie die Ausgaben für die tausend Zerstreuungen, aus denen sich ihr Leben zusammensetzt, bestritten werden. Marguerite wollte so viel Zeit als irgend möglich mit mir verbringen. Sie schrieb mir deshalb morgens schon, wir würden zusammen zu
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