Die Kameliendame
Mittag essen, aber nicht bei ihr, sondern in einem Pariser Restaurant oder auf dem Lande. Ich holte sie ab, wir aßen gemeinsam, wir gingen ins Theater, oft nahmen wir auch noch das Abendessen zusammen ein. An einem Tage hatte ich dann oft vier oder fünf Louis ausgegeben. Das waren im Monat zweitausendfünfhundert oder dreitausend Francs. So reichte ich mit meinem Jahreseinkommen nur dreieinhalb Monate. Ich mußte also entweder Schulden machen oder Marguerite verlassen. Zu allem war ich bereit, nur nicht dazu, Marguerite zu verlassen. Sie müssen entschuldigen, daß ich Ihnen alle diese Einzelheiten erzähle. Aber Sie werden sehen, daß sie die Ursache für die folgenden Ereignisse waren. Was ich Ihnen erzähle, sind wahre und im Grunde unkomplizierte Begebenheiten, und ich berichte Ihnen alle unmittelbaren Einzelheiten und den schlichten Ablauf der Ereignisse. Ich begriff also, daß ich ein Mittel finden mußte, um die Ausgaben,
die mir meine Geliebte verursachte, zu bestreiten, weil ich sie um nichts in der Welt verlassen wollte. Auch brannte diese Liebe so heiß in mir, daß die Stunden, die ich nicht in Marguerites Nähe verleben konnte, mir wie Jahre erschienen. Ich wollte sie durch irgendwelche Passionen rasch verfliegen lassen. Sie sollten mir nicht zum Bewußtsein kommen.
Ich lieh mir fünf- oder sechstausend Francs auf mein kleines Kapital und begann zu spielen. Denn seit die Spielhöllen aufgelöst wurden, spielt man ja überall. Früher ging man zu Frascita und hatte dort Gelegenheit, sein Glück zu machen, man spielte gegen Geld. Verlor man, konnte man sich sagen, daß man ja ebensogut hätte gewinnen können. Heute aber herrscht nur noch in den Klubs eine gewisse Zuverlässigkeit im Zahlen. Sucht man andere Spielgelegenheiten auf, dann kann man immer davon überzeugt sein, sein Geld nie zu erhalten, wenn man eine bedeutende Summe gewinnt. Das Warum ist leicht einzusehen.
Es spielen nur junge Leute, die viel benötigen, denen aber das nötige Vermögen fehlt, ihre Lebenskosten zu bestreiten. Also spielen sie. Und darauf folgt naturgemäß: gewinnen sie, dann müssen die Verlierer die Pferde und die Geliebten dieser Herren bezahlen, was ausgesprochen unangenehm ist. Schulden werden überschrieben, Freundschaften finden am Spieltisch ein Ende durch Ehrenhändel, und manchmal steht sogar das Leben auf dem Spiel. Ist man selbst ein Ehrenmann, wird man nicht selten durch sehr ehrenwerte junge Leute zugrunde gerichtet, weil sie nur den einen Fehler haben, daß ihnen zweitausend Francs Einkommen fehlen. Ich brauche Ihnen nicht von denen zu erzählen, die unehrlich spielen. Eines Tages erfährt man, daß sie abreisen mußten und hört Verwünschungen, die nun zu spät kommen. Ich stürzte mich in diesen reißenden und lärmenden Strudel. Früher hatte es mich abgeschreckt, wenn ich nur daran dachte. Jetzt war es für mich eine unausweichliche Notwendigkeit und gehörte zur
Vervollständigung meiner Liebe zu Marguerite. Was sollte ich auch anders machen? In den Nächten, die ich nicht in der Rue d'Antin zubrachte, konnte ich nicht allein zu Hause bleiben. Ich hätte doch nicht schlafen können. Die Eifersucht hätte mich wachgehalten und mir mein Herz und mein Blut vergiftet. Das Spiel hingegen zehrte das Fieber auf und fesselte mich wider meinen Willen, aber nur bis zur Stunde, wo ich zu meiner Geliebten ging. Dann, und daran erkannte ich die Macht meiner Liebe, verließ ich unweigerlich den Spieltisch, ob ich nun gewann oder verlor, und bedauerte alle, die ich zurückließ, weil sie nicht so glücklich waren wie ich und nicht mit Liebe erwartet wurden. Für die meisten ist das Spiel eine Notwendigkeit, für mich war es ein Mittel, die Zeit verfliegen zu lassen. Als ich von der Leidenschaft zu Marguerite geheilt war, war ich auch von der Spielleidenschaft geheilt. Auch war ich immer sehr kaltblütig. Ich verlor nicht mehr, als ich bezahlen konnte, und gewann nicht mehr, als ich verlieren konnte. Im übrigen war das Glück mir hold. Ich machte keine Schulden und gewann so viel, daß ich das Dreifache meines Einkommens ausgeben konnte. Es war nicht leicht, einer Lebensführung zu widerstehen, die mir erlaubte, die tausend Wünsche von Marguerite ohne Erröten zu erfüllen. Sie liebte mich noch immer sehr, ja noch mehr. Wie ich Ihnen schon sagte, wurde ich zunächst nur von Mitternacht bis sechs Uhr morgens empfangen. Dann durfte ich manchmal in ihre Loge kommen, und wir aßen auch öfters zusammen. Einmal ging
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