Die Kameliendame
den Brief in einen Umschlag und übergab ihn Joseph mit der Weisung, ihn sofort zur Post zu tragen. Als wir allein waren, trat mein Vater an den Kamin und sagte: ,Mein lieber Armand, wir haben über sehr ernste Dinge zu reden.' ,Ich höre, Vater.'
,Du versprichst mir, die Wahrheit zu sagen?!' ,Das tue ich immer.'
,Ist es wahr, daß du mit einer Frau namens Marguerite Gautier zusammenlebst?' ,Ja.'
,Weißt du, wer diese Frau war?' ,Ein ausgehaltenes Mädchen.'
,Hast du ihretwegen vergessen, deine Schwester und mich dieses Jahr zu besuchen?' ,Ja, Vater.'
,Du liebst also diese Frau sehr?'
,Wie Sie sehen: ja, Vater. Und da sie mich davon abgehalten hat, eine heilige Pflicht zu erfüllen, möchte ich Sie heute deshalb herzlich um Verzeihung bitten.' Offenbar hatte mein Vater nicht so offenherzige Antworten erwartet, denn er überlegte einen Augenblick, ehe er fortfuhr:
,Du hast augenscheinlich eingesehen, daß du nicht so weiterleben kannst,'
,Ich fürchte es, Vater, aber ich habe es noch nicht eingesehen.' ,Aber du wirst einsehen müssen', fuhr mein Vater in etwas strengerem Tone fort, ,daß ich das nicht länger dulden werde.'
,Ich habe mir gesagt, daß ich, solange ich nichts tue, was die Achtung Ihres Namens und das Ansehen unserer Familie verletzt, daß ich so lange mein jetziges Leben führen kann. Und das hat mich beruhigt. Leidenschaften machen einen stark gegen Gefühle'. Ich war zum äußersten Kampf, sogar gegen meinen Vater, bereit, um mir Marguerite zu erhalten. ,Der Augenblick, dein Leben zu ändern, ist gekommen.' ,Und warum?'
,Weil du auf dem besten Wege bist, Dinge zu tun, die die Achtung vor unserer Familie, die du zu haben glaubst,
verletzen.'
,Ich weiß nicht, was das heißen soll.'
,Das werde ich dir sagen. Daß du eine Geliebte hast, dagegen ist nichts einzuwenden. Daß du sie bezahlst, wie ein wohlerzogener Mann die Liebe eines ausgehaltenen Mädchens bezahlen muß, das versteht sich. Aber daß du um ihretwillen die heiligsten Dinge vergißt, es so weit kommen läßt, daß bis zu mir in die Provinz das Gerede über dein skandalöses Verhalten dringt und einen Schatten wirft auf den ehrlichen Namen, den ich dir gegeben habe, das gibt es nicht und wird es nicht geben.'
,Erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, Vater, daß die, die Ihnen derartige Dinge erzählt haben, nicht richtig informiert sind. Ich bin der Geliebte von Fräulein Gautier, ich lebe mit ihr zusammen. Das ist wahr. Aber ich gebe Fräulein Gautier nicht unseren Namen, ich gebe für sie nicht mehr aus, als mir meine Mittel erlauben, ich habe keine Schulden gemacht und sehe deshalb keine der Voraussetzungen, die einen Vater berechtigen, seinem Sohne Dinge zu sagen, wie Sie sie mir sagten.' ,Ein Vater hat immer das Recht, seinen Sohn von der falschen Bahn abzubringen, auf der er sich befindet. Noch hast du nichts Unrechtes getan, aber du bist auf dem besten Wege dazu.' ,Vater!'
,Ich kenne das Leben besser als Sie, mein Herr Sohn! Reine Gefühle kann man nur für ehrbare Mädchen haben. Jede Manon kann einen DesGrieux aus einem machen. Die Zeiten und Sitten haben sich geändert. Es ist unnötig, daß die Erde länger besteht, wenn sich das Leben auf ihr nicht wandelt. Du wirst deine Geliebte verlassen.'
,Ich bedaure sehr, ungehorsam sein zu müssen, aber das ist unmöglich.'
,Ich werde Sie zwingen.'
,Leider gibt es nicht mehr die Insel Saint Margherites, Vater, auf die man die Kurtisanen verbannt. Und gäbe es die Insel noch, dann würde ich Fräulein Gautier dorthin folgen, wenn Sie darauf bestünden, daß man sie dorthin bringt. Was wollen Sie von mir? Ich handle vielleicht nicht vernünftig, aber ich kann nur als Geliebter dieser Frau glücklich sein.' ,Aber Armand! Machen Sie die Augen auf! Erkennen Sie doch Ihren Vater, der Sie immer sehr geliebt hat und der jetzt hier vor Ihnen steht! Er hat immer nur Ihr Glück gewollt! Ist es etwa eine Ehre, mit einem Mädchen, das alle Welt gehabt hat, so zusammenzuleben, als sei man mit ihr verheiratet?'
,Was kümmert das mich, Vater, wenn in Zukunft niemand mehr sie haben wird? Was kümmert das mich, wenn dieses Mädchen mich liebt, wenn sie aufgerichtet wurde durch die Liebe, die sie für mich und die ich für sie empfinde? Was geht das mich an, wenn sich alles geändert hat?' ,Ja, glauben Sie denn, mein Herr Sohn, daß es die Aufgabe eines ehrenhaften Mannes ist, Kurtisanen auf den geraden Weg zu bringen? Glauben Sie etwa, Gott habe dem Leben dieses groteske Ziel gesetzt, und das Herz sollte keiner
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