Die Kameliendame
will. Nein, nein, du mußt gehen. Übrigens bin ich nicht krank. Ich fühle mich sehr gut. Ich hatte nur einen dummen Traum. Deshalb bin ich nicht fröhlich aufgewacht.'
Nach diesen Worten versuchte Marguerite heiterer zu sein und weinte nicht mehr.
Als ich abfahren mußte, küßte ich sie und fragte, ob sie mich nicht zur Bahn begleiten wolle. Ich hoffte, der Weg würde sie zerstreuen und ihr guttun.
Ich wollte auch so lange wie möglich mit ihr zusammen sein. Sie war einverstanden, holte ihren Mantel, und auch Nanine begleitete mich, damit Marguerite nicht allein zurückgehen mußte.
Zwanzigmal war ich nahe daran, nicht abzureisen. Aber die Hoffnung, bald wieder zurück zu sein, und die Furcht, meinen Vater von neuem zu verärgern, waren stärker. So bestieg ich den Zug.
,Bis heute abend', sagte ich zu Marguerite beim Abschied. Sie antwortete mir nicht.
Schon einmal hatte sie mir darauf keine Antwort gegeben, wie Sie sich erinnern werden. Damals hatte der Graf von G... sie dann abends besucht. Aber das war so lange her, daß es wie ausgelöscht war aus meinem Gedächtnis. Und wenn ich etwas befürchtete, so doch gewiß das eine nicht, daß Marguerite mich betrügen würde.
Als ich in Paris ankam, eilte ich zu Prudence. Ich wollte sie bitten, zu Marguerite zu fahren, in der Hoffnung, daß ihre lebhafte und heitere Gesellschaft sie zerstreuen würde. Ohne Anmeldung trat ich ein. Sie legte gerade ihren Schmuck an und vollendete damit ihre Toilette. ,Ah', sagte sie aufgeregt zu mir, ,ist Marguerite mit Ihnen hier?'
,Nein.' ,Wie geht es ihr?' ,Sie fühlt sich nicht wohl.' ,Sie kommt also nicht?' "Wollte sie denn kommen?'
Frau Duvernoy wurde rot und antwortete verwirrt: ,Ich wollte sagen, wenn Sie in Paris sind, kommt Marguerite dann nicht mit?' ,Nein.'
Ich blickte Prudence an. Sie senkte die Augen. Auf ihrem Gesicht glaubte ich die Furcht zu lesen, ich könnte zu lange bei ihr bleiben.
,Ich komme zu Ihnen, weil ich Sie bitten möchte, liebe Prudence, ob Sie, wenn Sie nichts anderes vorhaben, heute abend zu Marguerite hinausfahren wollten. Sie könnten ihr Gesellschaft leisten und bei uns übernachten. Ich sah sie noch nie so erregt wie heute, und fürchte, sie wird krank.'
,Ich esse heute in der Stadt zu Abend', antwortete Prudence, ,und kann also nicht zu Marguerite hinausfahren. Aber morgen werde ich nach ihr sehen.'
Ich verabschiedete mich von Frau Duvernoy, die mir ebenso seltsam vorkam wie Marguerite, und begab mich zu meinem Vater, der mich aufmerksam betrachtete, als ich auf ihn zukam.
Er reichte mir die Hand.
,Deine zwei Besuche haben mich gefreut, Armand. Ich hoffe, du hast ebenso nachgedacht wie ich.'
,Darf ich mir die Frage nach dem Ergebnis Ihres Nachdenkens erlauben, Vater?'
,Ja. Ich habe mich nach den Berichten, die man mir zutrug, in falsche Vorstellungen hineingesteigert und will weniger streng mit dir sein.'
,Was sagen Sie, Vater?' rief ich voll Freude. ,Ich sage, mein liebes Kind, daß jeder junge Mann eine Geliebte hat, und daß ich nach den letzten Erkundigungen lieber Fräulein Gautier als deine Geliebte sehe als eine andere.' ,Vater, Sie sind zu gütig. Sie machen mich sehr glücklich.' So plauderten wir eine geraume Zeit. Dann aßen wir zusammen. Mein Vater war auch während des Essens reizend zu mir.
Ich hatte es eilig, nach Bougival zurückzukehren, um Marguerite von der glücklichen Wendung zu berichten, und sah beständig auf die Uhr.
,Du siehst auf die Uhr, du bist ungeduldig, fortzukommen', sagte mein Vater. ,Ach, ihr jungen Leute opfert immer die aufrichtigen Zuneigungen den unbeständigen.' ,Sagen Sie das nicht, Vater. Marguerite liebt mich, dessen bin ich sicher.'
Mein Vater entgegnete nichts. Er schien weder zu glauben noch zu zweifeln.
Er bestand darauf, daß ich den ganzen Abend mit ihm verbringen und erst am nächsten Tag nach Bougival zurückkehren sollte. Aber ich sagte ihm, Marguerite habe sich nicht wohl gefühlt, als ich sie verließ, und bat um seine Erlaubnis, frühzeitig gehen zu dürfen. Ich versprach ihm, am nächsten Tag wiederzukommen.
Es war schönes Wetter. Er wollte mich zum Bahnhof begleiten. Niemals bin ich so glücklich gewesen. Die Zukunft lag so vor mir, wie ich sie mir seit langem gewünscht hatte. Ich liebte meinen Vater mehr denn je.
Als ich mich verabschieden wollte, versuchte er noch einmal, mich zurückzuhalten. Ich wies ihn ab. ,Du liebst sie also sehr?' fragte er. ,Wie von Sinnen.'
,Geh also', sagte er und fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als wolle
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