Die Kammer
genommen und verstaut, und plötzlich setzte eine gemurmelte Unterhaltung ein. Adam war der Tür am nächsten. Er nickte Slattery zu, verabschiedete sich mit einem schwachen »Guten Tag, Euer Ehren« und verließ das Büro. Er bedachte die Sekretärin mit einem höflichen Lächeln und war bereits auf dem Flur, als jemand seinen Namen rief. Es war der Gouverneur, mit zwei Lakaien im Gefolge.
»Können wir uns eine Minute unterhalten?« fragte McAllister und streckte Adam die Hand entgegen. Adam ergriff sie eine Sekunde lang.
»Worüber?«
»Nur fünf Minuten, ja?«
Adam betrachtete die in kaum einem Meter Entfernung wartenden Begleiter des Gouverneurs. »Allein. Unter vier Augen. Und inoffiziell«, sagte er.
»Natürlich«, sagte McAllister, dann deutete er auf eine Doppeltür. Sie betraten einen kleinen Gerichtssaal, in dem kein Licht brannte. Die Hände des Gouverneurs waren frei. Irgendwer trug seinen Koffer und seine Akten. Er schob sie tief in die Hosentaschen und lehte sich an ein Geländer. Er war schlank und gut angezogen, hübscher Anzug, modische Seidenkrawatte, das obligatorische weiße Baumwollhemd. Er war knapp vierzig und alterte bemerkenswert gut. Nur ein Anflug von Grau durchzog sein Haar. »Wie geht es Sam?« fragte er, tiefe Besorgnis vortäuschend.
Adam schnaubte, schaute weg, dann stellte er seinen Aktenkoffer auf den Boden. »Oh, ihm geht es prächtig. Ich werde ihm sagen, daß Sie sich erkundigt haben. Das wird ihn ungemein freuen.«
»Ich habe gehört, mit seiner Gesundheit steht es nicht zum besten.«
»Gesundheit? Sie versuchen, ihn umzubringen. Wie können Sie sich da Sorgen um seine Gesundheit machen?«
»Nur ein Gerücht, das ich gehört habe.«
»Er haßt Sie, wissen Sie das? Sein Gesundheitszustand ist schlecht, aber er wird noch drei Wochen durchhalten.«
»Haß ist schließlich nichts Neues bei Sam.«
»Worüber genau wollten Sie mit mir sprechen?«
»Ich wollte nur hallo sagen. Ich bin sicher, daß wir uns bald zusammensetzen werden.«
»Hören Sie, Gouverneur, ich habe eine Vereinbarung mit meinem Mandanten unterschrieben, die mir ausdrücklich verbietet, mit Ihnen zu sprechen. Ich wiederhole es - er haßt Sie. Ihnen hat er es zu verdanken, daß er in der Todeszelle sitzt. Er macht Sie für alles verantwortlich, und wenn er wüßte, daß wir jetzt miteinander reden, würde er mich sofort entlassen.«
»Ihr eigener Großvater würde Sie entlassen?«
»Ja. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Also, wenn ich morgen in der Zeitung lese, daß wir uns heute getroffen und über Sam Cayhall gesprochen haben, dann kehre ich sofort nach Chicago zurück, was vermutlich Ihre Hinrichtung vermasseln wird, weil Sam dann keinen Anwalt mehr hat. Sie können keinen Mann töten, der keinen Anwalt hat.«
»Wer sagt das?«
»Behalten Sie es einfach für sich, okay?«
»Sie haben mein Wort darauf. Aber wenn wir nicht miteinander reden können, wie sollen wir dann das Thema Begnadigung erörtern?«
»Ich weiß es nicht. Bis zu diesem Punkt bin ich noch nicht gekommen.«
McAllisters Gesicht war immer verbindlich. Das freundliche Lächeln war immer vorhanden oder wenigstens dicht unter der Oberfläche. »Aber Sie haben doch bestimmt über eine Begnadigung nachgedacht?«
»Ja. Bei nur noch drei Wochen Zeit habe ich in der Tat über eine Begnadigung nachgedacht. Jeder Insasse einer Todeszelle träumt von einer Begnadigung, Gouverneur, und deshalb können Sie keine gewähren. Sie begnadigen einen, und die anderen fünfzig lassen Ihnen keine Ruhe mehr. Fünfzig Familien schreiben Briefe und rufen Sie Tag und Nacht an. Fünfzig Anwälte werden aktiv und versuchen, in Ihr Büro einzudringen. Wir wissen beide, daß es unmöglich ist.«
»Ich bin nicht sicher, daß er sterben sollte.«
Er sagte dies mit abgewendetem Blick, als wäre ein Sinneswandel im Gange, als hätten die Jahre ihn reifer gemacht und seinen Eifer, Sam zu bestrafen, abgemildert. Adam wollte etwas sagen, doch dann begriff er die Wichtigkeit dieser Worte. Er betrachtete eine Minute lang den Fußboden und richtete seine besondere Aufmerksamkeit auf die Schuhe des Gouverneurs. Der Gouverneur war tief in Gedanken versunken.
»Ich bin auch nicht sicher, daß er sterben sollte«, sagte Adam. »Wieviel hat er Ihnen erzählt?«
»Worüber?«
»Über das Kramer-Attentat.«
»Er sagt, er hätte mir alles erzählt.«
»Aber Sie bezweifeln es?«
»Ja.«
»Ich auch. Ich habe immer Zweifel gehabt.«
»Weshalb?«
»Aus vielen
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