Die Kammer
Gründen. Jeremiah Dogan war ein notorischer Lügner, und er hatte eine Todesangst vor dem Gefängnis. Die Steuerbehörde hatte ihn am Haken, wie Sie vielleicht wissen, und er war überzeugt, wenn er ins Gefängnis müßte, würde er von schwarzen Banden vergewaltigt und gefoltert und umgebracht werden. Schließlich war er der Imperial Wizard des Ku-Klux-Klan. Außerdem hatte Dogan von vielen Dingen keine Ahnung. Wenn es um Terrorismus ging, war er aalglatt und schwer zu fassen, aber das System der Strafjustiz verstand er nicht. Ich habe immer geglaubt, daß irgend jemand, vielleicht das FBI, zu Dogan gesagt hat, Sam müßte zum Tode verurteilt werden, sonst würde man ihn ins Gefängnis verfrachten. Keine Verurteilung, kein Handel. Er war ein willfähriger Zeuge. Er wollte unbedingt, daß die Geschworenen Sam verurteilten.«
»Also hat er gelogen?«
»Ich weiß es nicht. Möglicherweise.«
»Worüber?«
»Haben Sie Sam gefragt, ob er einen Komplizen hatte?« Adam schwieg einen Moment und analysierte die Frage. »Ich kann Ihnen wirklich nicht sagen, worüber Sam und ich gesprochen haben. Das ist vertraulich.«
»Natürlich ist es das. In diesem Staat gibt es eine Menge Leute, die insgeheim wünschen, daß Sam nicht hingerichtet wird.« Jetzt beobachtete McAllister Adam ganz genau.
»Gehören Sie dazu?«
»Ich weiß es nicht. Aber was ist, wenn Sam nicht vorhatte, Marvin Kramer oder seine Söhne umzubringen? Sam war vor Ort, er steckte mit drin. Aber was ist, wenn ein anderer vorsätzlich getötet hat?«
»Dann ist Sam nicht so schuldig, wie wir glauben.«
»Richtig. Er ist eindeutig nicht unschuldig, aber auch nicht so schuldig, daß er hingerichtet werden müßte. Das macht mir zu schaffen, Mr. Hall. Darf ich Sie Adam nennen?«
»Natürlich.«
»Ich nehme an, Sam hat nichts von einem Komplizen erwähnt?«
»Darüber kann ich wirklich nicht sprechen. Nicht jetzt.«
Der Gouverneur zog eine Hand aus der Tasche und gab Adam eine Karte. »Auf der Rückseite stehen zwei Telefonnummern. Die eine ist die Nummer von meinem persönlichen Büro, die andere meine Privatnummer. Alle Anrufe werden vertraulich behandelt, das schwöre ich. Ich posiere gelegentlich vor den Kameras, Adam, das gehört zu meinem Job, aber ich kann auch verschwiegen sein.«
Adam nahm die Karte und betrachtete die mit der Hand geschriebenen Nummern.
»Ich könnte nicht damit leben, wenn ich es unterlassen würde, einen Mann zu begnadigen, der es nicht verdient hat zu sterben«, sagte McAllister, während er auf die Tür zuging. »Rufen Sie mich an, aber warten Sie nicht zu lange. Diese Sache wird langsam heiß. Ich bekomme jeden Tag zwanzig Anrufe.«
Er nickte Adam zu, zeigte ihm abermals die blendend weißen Zähne und verließ den Raum.
Adam setzte sich auf einen Metallstuhl an der Wand und betrachtete die Vorderseite der Karte. Sie war in Gold geprägt mit einem offiziellen Siegel. Zwanzig Anrufe am Tag. Was bedeutete das? Wollten die Anrufer, daß Sam starb, oder wollten sie, daß er begnadigt wurde?
In diesem Staat gibt es eine Menge Leute, die wünschen, daß Sam nicht hingerichtet wird, hatte er gesagt, als wäre er bereits dabei, die Stimmen, die er verlieren würde, abzuwägen gegen die, die er gewinnen konnte.
24
D as Lächeln der Empfangsdame im Vorzimmer war nicht so behende wie gewöhnlich, und während Adam auf sein Büro zuging, fiel ihm auf, daß unter den Angestellten und der Handvoll Anwälte eine nüchternere Atmosphäre herrschte als sonst. Man unterhielt sich eine Oktave tiefer. Alles war ein bißchen dringlicher.
Chicago war eingetroffen. Das kam gelegentlich vor, nicht notwendigerweise zum Zwecke der Inspektion, sondern meist, um einem hiesigen Mandanten beizustehen oder um bürokratische kleine Firmentreffen abzuhalten. Niemand war je entlassen worden, wenn Chicago eingetroffen war. Niemand war je beschimpft oder beleidigt worden. Aber es gab immer ein paar nervöse Momente, bis Chicago wieder verschwunden und nach Norden zurückgekehrt war.
Adam öffnete die Tür zu seinem Büro und prallte fast auf das besorgte Gesicht von E. Garner Goodman, wie üblich mit grüner Paisley-Fliege, gestärktem weißem Hemd und buschigem grauem Haar. Er war im Zimmer herumgewandert und stand zufällig gerade in der Nähe der Tür, als sie geöffnet wurde. Adam starrte ihn an, dann ergriff er seine Hand und schüttelte sie rasch.
»Immer herein«, sagte Goodman und schloß die Tür, nachdem er Adam zum Eintreten in sein
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