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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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die Guten und die Cowboys der Abschaum. Alle Bleichgesichter waren böse und mußten am Ende sterben. Lee trank zwei große Dr. Peppers. Ihr Haar war sauber und über die Ohren zurückgekämmt. Ihre Augen waren wieder klar und hübsch. Sie hatte sich geschminkt, so daß die Wunden der vergangenen Woche nicht mehr zu sehen waren. Sie war so cool wie immer, in Jeans und Baumwollbluse. Und sie war nüchtern.
    Über Donnerstagnacht, wo Adam vor ihrer Tür geschlafen hatte, war kaum ein Wort gefallen. Sie hatten sich geeinigt, daß sie später darüber sprechen würden, irgendwann in ferner Zukunft, wenn sie es verkraften konnte. Das war ihm recht. Sie balancierte auf einem unsicheren Hochseil, immer kurz davor, wieder in die dunklen Abgründe der Trunksucht abzustürzen. Er würde sie vor Leid und Verzweiflung beschützen. Er würde ihr das Leben angenehm und erfreulich machen. Keine weiteren Gespräche über Eddie. Keine Cayhall-Familiengeschichten mehr.
    Sie war seine Tante, und er hatte sie sehr gern. Sie war zerbrechlich und krank, und sie brauchte seine kraftvolle Stimme und seine breiten Schultern.
35
    P hilip Naifeh erwachte sehr früh am Sonntagmorgen mit heftigen Herzschmerzen und wurde in aller Eile ins Krankenhaus von Cleveland gebracht. Er wohnte mit seiner Frau, mit der er seit einundvierzig Jahren verheiratet war, in einem modernen Haus auf dem Gelände von Parchman. Die Fahrt im Krankenwagen dauerte zwanzig Minuten, und als er in der Intensivstation eintraf, war sein Zustand stabil.
    Seine Frau wartete besorgt auf dem Flur, während die Schwestern um sie herumeilten. Sie hatte schon einmal hier gewartet, drei Jahre zuvor, bei der ersten Herzattacke. Ein junger Arzt mit düsterer Miene teilte ihr mit, daß es sich nur um einen leichten Infarkt handelte, daß sein Herz stetig arbeitete und er mit medikamentöser Unterstützung jetzt ruhig schlief. Man würde ihn die nächsten vierundzwanzig Stunden eingehend überwachen, und wenn alles planmäßig verlief, würde er in weniger als einer Woche wieder zu Hause sein.
    Es war ihm strengstens verboten, sich mit Dingen zu befassen, die mit Parchman zusammenhingen, und mit der CayhallHinrichtung durfte er schon gar nichts zu tun haben. Nicht einmal einen Anruf vom Bett aus.
    Der Schlaf fiel ihm immer schwerer. Adam hatte die Angewohnheit, im Bett noch eine Stunde zu lesen, und beim Studium hatte er gelernt, daß juristische Publikationen ein hervorragendes Schlafmittel waren. Aber jetzt machte er sich um so mehr Sorgen, je mehr er las. Sein Denken war erfüllt von den Ereignissen der vergangenen beiden Wochen den Leuten, denen er begegnet war, den Dingen, die er erfahren hatte, den Orten, an denen er gewesen war. Und seine Gedanken wirbelten ununterbrochen um das, was noch kommen würde.
    In der Nacht von Samstag auf Sonntag schlief er sehr unruhig und lag zwischendurch immer wieder für längere Zeit wach. Als er schließlich zum letztenmal aufwachte, war die Sonne bereits aufgegangen. Es war fast acht Uhr. Lee hatte angedeutet, daß sie sich vielleicht noch einmal als Küchenfee versuchen wollte. Früher, hatte sie gesagt, hätte sie sich sogar recht geschickt angestellt mit Eiern und Würstchen, und mit Dosenbrot konnte jeder umgehen. Doch als er seine Jeans anzog und ein T-Shirt überstreifte, roch er nichts.
    In der Küche war niemand. Er rief ihren Namen und warf einen Blick auf die Kaffeekanne. Sie war halb voll. Ihre Schlafzimmertür stand offen, und das Licht war ausgeschaltet. Er schaute schnell in sämtliche Zimmer. Sie war auch nicht auf der Terrasse mit einer Tasse Kaffee und einer Zeitung vor der Nase. Ein unbehagliches Gefühl überkam ihn, das mit jedem leeren Zimmer bedrängender wurde. Er lief zum Parkplatz keine Spur von ihrem Wagen. Er ging barfuß über den heißen Asphalt und fragte den Wachmann, wann sie abgefahren war. Der schaute auf sein Clipboard und teilte ihm mit, das wäre jetzt ungefähr zwei Stunden her. Sie wirkte ganz okay, sagte er.
    Er fand die Lösung auf der Couch im Wohnzimmer, einen acht Zentimeter dicken Stapel aus Nachrichten und Anzeigen: die Sonntagsausgabe der Memphis Press. Sie war säuberlich so zusammengefaltet, daß die Stadtnachrichten obenauf lagen. Lees Gesicht prangte auf der ersten Seite dieses Teils, auf einem Foto, das vor Jahren bei einem Wohltätigkeitsball aufgenommen worden war. Es war eine Nahaufnahme von Mr. und Mrs. Phelps Booth, ganz Lächeln für die Kamera. Lee sah hinreißend aus in einem

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