Die Kammer
er einem Lieutenant gehört, dann einem Justizbeamten. Das Telefon auf dem Schreibtisch war das letzte, das der Anwalt des Verurteilten benutze, wenn er den endgültigen Bescheid erhielt, daß es keinen weiteren Aufschub, keine weiteren Berufungen mehr geben würde. Danach machte er sich auf den weiten Weg zurück zu Abschnitt A, bis zum hinteren Ende, wo sein Mandant in der Observierungszelle wartete.
Die Observierungszelle unterschied sich in nichts von den regulären Zellen in Abschnitt A. Sie war nur acht Türen von Sams Zelle entfernt, einsachtzig mal zwei Meter siebzig groß, mit einem Bett, einem Ausguß und einer Toilette, genau wie die von Sam, genau wie die von allen anderen. Es war die letzte Zelle des Abschnitts und lag dem Isolierraum am nächsten, der direkt an die Gaskammer angrenzte. Am Tag vor der Hinrichtung wurde der Verurteilte zum letztenmal aus seiner Zelle geholt und in die Observierungszelle geführt. Auch seine persönliche Habe wurde dorthin gebracht, was gewöhnlich keine große Arbeit war. Dort wartete er. In der Regel verfolgte er sein persönliches Drama im Fernsehen und sah sich die Berichte der lokalen Sender über den Stand der Eingaben in letzter Minute an. Sein Anwalt wartete mit ihm, saß in der dunklen Zelle neben ihm auf dem dürftigen Bett und verfolgte gleichfalls die Nachrichtensendungen. Außerdem durfte sich ein Prediger oder geistlicher Berater in der Zelle aufhalten.
Der Todestrakt würde dunkel und totenstill sein. Einige der Insassen würden auf ihren Fernseher starren. Andere hielten sich durch die Gitterstäbe hindurch bei den Händen und beteten. Andere lagen auf ihren Betten und fragten sich, wann ihre Zeit kommen würde. Die nach außen gehenden Fenster über dem Flur waren sämtlich geschlossen und verriegelt. Der Trakt war für jedermann geschlossen. Aber es gab Stimmen zwischen den Abteilungen und etwas Licht, das von draußen einfiel. Für die Männer, die stundenlang in ihren winzigen Zellen saßen und alles hörten und sahen, war die Unruhe durch all die ungewohnten Aktivitäten nervenaufreibend.
Um elf würden der Direktor und sein Team Abschnitt A betreten und bei der Observierungszelle haltmachen. Zu diesem Zeitpunkt bestand praktisch keinerlei Hoffnung mehr auf einen Aufschub in letzter Minute. Der Verurteilte würde auf seinem Bett sitzen und die Hand seines Anwalts und seines Geistlichen halten. Der Direktor würde verkünden, daß es Zeit war, in den Isolierraum zu gehen. Die Zellentür würde klicken und sich öffnen, und der Verurteilte würde auf den Flur hinaustreten. Es würde ermutigende und beruhigende Rufe von den anderen Insassen geben, von denen viele weinten. Die Entfernung zwischen der Observierungszelle und dem Isolierraum beträgt nur knapp acht Meter. Der Verurteilte würde zwischen zwei Reihen von bewaffneten und massigen Wärtern hindurchgehen, den größten, die der Direktor finden konnte. Es gab nie irgendwelchen Widerstand. Er hätte nichts genützt.
Der Direktor würde den Verurteilten in einen kleinen Raum führen, drei mal drei Meter groß, leer bis auf ein Klappbett. Der Verurteilte würde sich auf das Bett setzen, mit dem Anwalt an seiner Seite. Zu diesem Zeitpunkt würde der Direktor, aus welchem Grund auch immer, das Bedürfnis verspüren, ein paar Augenblicke mit dem Verurteilten zu verbringen, als wäre er, der Direktor, die Person, mit der der Verurteilte sich als letztes unterhalten wollte. Schließlich würde der Direktor gehen. Der Raum würde still sein bis auf ein gelegentliches Geräusch aus dem Raum nebenan. Zu diesem Zeitpunkt waren die Gebete gewöhnlich abgeschlossen. Dem Verurteilten blieben nur noch Minuten.
Unmittelbar neben dem Isolierraum lag der eigentliche Kammerraum. Er war ungefähr viereinhalb mal dreieinhalb Meter groß, mit der Gaskammer im Zentrum. Der Vollstrecker würde bereits bei der Arbeit sein, während der Verurteilte im Isolierraum betete. Der Direktor, der Gefängnisanwalt, der Arzt und eine Handvoll Wärter waren mit Vorbereitungen beschäftigt. An der Wand gab es zwei Telefone für das Okay in der letzten Minute. Links davon befand sich ein kleiner Raum, in dem der Vollstrecker seine Chemikalien anmischte. Hinter der Kammer gab es eine Reihe von drei Fenstern, fünfundvierzig mal fünfundsiebzig Zentimeter groß, und fürs erste mit schwarzen Gardinen verhängt. Hinter den Fenstern lag der Zeugenraum.
Zwanzig Minuten vor Mitternacht würde der Arzt den Isolierraum betreten und an der
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