Die Kammer
Brust des Verurteilten ein Stethoskop befestigen. Dann würde er wieder gehen und der Direktor würde eintreten und den Verurteilten in die Kammer bringen.
Der Kammerraum war immer voller Menschen, alle begierig zu helfen, alle im Begriff, zuzusehen, wie ein Mann starb. Sie würden ihn in die Gaskammer dirigieren, ihn festschnallen, die Tür verriegeln und ihn töten.
Es war eine relativ simple Prozedur mit nur geringen Variationen für den individuellen Fall. Buster Moac zum Beispiel saß auf dem Stuhl, bereits zur Hälfte angeschnallt, als im Kammerraum das Telefon läutete. Er wurde in den Isolierraum zurückgebracht und mußte sechs elende Stunden warten, bis sie ihn abermals holten. Jumbo Parris war der gerissenste von den vieren. Als er im Todestrakt gelandet war, konnte er auf jahrelange Erfahrungen mit Drogen zurückblicken, und so begann er bereits Tage vor seiner Hinrichtung, seinen Psychiater um Valium zu bitten. Er zog es vor, seine letzten Stunden allein zu verbringen, ohne Anwalt oder Geistlichen, und als sie kamen, um ihn aus der Observierungszelle zu holen, war er völlig hinüber. Er hatte offensichtlich das Valium gehortet und mußte in den Isolierraum geschleppt werden, wo er friedlich schlief. Dann wurde er in die Gaskammer geschleppt und erhielt seine letzte Dosis.
Es war eine humane und durchdachte Prozedur. Der Verurteilte blieb fast bis zum Ende in seiner Zelle, neben seinen Kumpanen. In Louisiana wurden sie aus dem Todestrakt herausgeholt und in ein kleines Gebäude gebracht, das Death House genannt wurde. Dort verbrachten sie ihre letzten drei Tage unter ständiger Überwachung. In Virginia brachte man sie in eine andere Stadt.
Sam war acht Türen von der Observierungszelle entfernt, ungefähr fünfzehn Meter. Dann weitere sechs Meter bis zum Isolierraum und noch einmal dreieinhalb Meter bis zur Kammer. Er hatte sich viele Male ausgerechnet, daß die Entfernung von einem Punkt in der Mitte seines Bettes bis zur Gaskammer schätzungsweise fünfundzwanzig und einen halben Meter betrug Und er stellte am Dienstagmorgen diese Berechnung abermals an, während er ein weiteres Kreuz auf seinem Kalender eintrug. Acht Tage. Es war dunkel und heiß. Er hatte nur zeitweilig geschlafen und den größten Teil der Nacht damit verbracht, vor dem Ventilator auf seinem Bett zu sitzen. Bis zu Frühstück und Kaffee dauerte es noch eine Stunde. Dies würde Tag Nummer 3449 im Todestrakt sein, und darin war die Zeit, die er während seiner ersten beiden Prozesse im Gefängnis von Greenville verbracht hatte, nicht enthalten. Nur noch acht Tage.
Sein Laken war klatschnaß von Schweiß, und als er auf dem Bett lag und zum millionstenmal die Decke betrachtete, dachte er an den Tod. Der eigentliche Akt des Sterbens würde nicht allzu grauenhaft sein. Aus naheliegenden Gründen kannte niemand die exakten Auswirkungen des Gases. Vielleicht würden sie ihm eine extrastarke Dosis geben, damit er schon lange tot war, bevor sein Körper anfing, zu zucken und sich in Krämpfen zu winden. Vielleicht würde der erste Atemzug ihn bewußtlos machen. Auf jeden Fall würde es nicht lange dauern, das hoffte er jedenfalls. Er hatte mit angesehen, wie seine Frau unter großen Leiden an Krebs dahinsiechte. Er hatte erlebt, wie Verwandte alt und senil wurden. Bestimmt war dies eine bessere Methode, aus dem Leben zu scheiden.
»Sam?« flüsterte J. B. Gullitt. »Bist du wach?«
Sam ging zu seiner Tür und lehnte sich an die Gitterstäbe. Er konnte Gullitts Hände und Unterarme sehen. »Ja, ich bin wach. Scheint, als könnte ich nicht schlafen.« Er zündete sich die erste Zigarette des Tages an.
»Ich auch nicht. Sag mir, daß es nicht passieren wird, Sam.«
»Es wird nicht passieren.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja, mein voller Ernst. Mein Anwalt ist dabei, das schwere Geschütz aufzufahren. Er wird mich wahrscheinlich in ein paar Wochen hier herausgeholt haben.«
»Und warum kannst du dann nicht schlafen?«
»Der Gedanke, hier herauszukommen, regt mich so auf.«
»Hast du mit ihm über meinen Fall gesprochen?«
»Noch nicht. Er hat zuviel um die Ohren. Sobald ich draußen bin, kümmern wir uns um deinen Fall. Entspann dich und versuch, noch eine Weile zu schlafen.«
Gullitts Hände und Unterarme wurden langsam zurückgezogen, dann knarrte sein Bett. Sam schüttelte den Kopf über die Unwissenheit des Jungen. Er rauchte seine Zigarette zu Ende und warf den Stummel auf den Flur, ein Verstoß gegen die Vorschriften, der
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