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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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den grimmigen Gesichtern den Mord angestiftet, und die anderen waren einfach mitgekommen. Wenn man das Foto genau betrachtete, konnte man sich nicht vorstellen, daß Sam und seine jüngeren Freunde für diese furchtbare Untat verantwortlich waren. Sam hatte nichts unternommen, um sie zu verhindern. Aber vielleicht hatte er auch nichts unternommen, um sie zu fördern.
    Die Szene warf hundert unbeantwortbare Fragen auf. Wer war der Fotograf, und wieso war er überhaupt mit seiner Kamera zur Stelle gewesen? Wer war der junge Schwärze? Wo waren seine Angehörigen, seine Mutter? Wie hatten sie ihn gefangen? War er im Gefängnis gewesen und von den Behörden dem Mob überlassen worden? War das angebliche Vergewaltigungsopfer eine der jungen Frauen, die in die Kamera lächelten? War einer der Männer ihr Vater? Ihr Bruder?
    Wenn Sam schon in so jungen Jahren an einem Lynchmord teilgenommen hatte, was konnte man dann von ihm als Erwachsenem erwarten? Wie oft versammelten sich diese Leute im ländlichen Mississippi und feierten auf diese Weise?
    Wie in Gottes Namen hätte Sam etwas anderes werden können als er selbst? Er hatte nie eine Chance gehabt.
    Sam wartete geduldig im vorderen Büro und trank Kaffee. Er war stark und aromatisch, ganz im Gegensatz zu der verwässerten Brühe, die den Zelleninsassen allmorgendlich serviert wurde. Er hatte ihn von Packer bekommen, in einem großen Pappbecher. Sam saß auf dem Schreibtisch, mit den Füßen auf einem Stuhl.
    Die Tür ging auf, und Colonel Nugent kam herein, gefolgt von Packer. Die Tür wurde wieder geschlossen. Sam richtete sich stramm auf und salutierte gekonnt.
    »Guten Morgen, Sam«, sagte Nugent düster. »Wie geht es Ihnen?«
    »Prächtig. Und Ihnen?«
    »Es geht so.«
    »Ja, ich weiß, Sie haben viel um die Ohren. Es ist nicht einfach, eine Hinrichtung zu organisieren und dafür zu sorgen, daß alles reibungslos abläuft. Harter Job. Meine Hochachtung.«
    Nugent ignorierte den Sarkasmus. »Ich muß mit Ihnen über ein paar Dinge reden. Ihr Anwalt behauptet jetzt, Sie wären verrückt, und ich wollte selbst sehen, wie es um Sie steht.«
    »Ich fühle mich großartig.«
    »Auf jeden Fall sehen Sie gut aus.«
    »Verbindlichsten Dank. Und Sie sehen mächtig schick aus. Hübsche Stiefel.«
    Die schwarzen Militärstiefel glänzten wie gewöhnlich. Packer warf einen Blick darauf und grinste.
    »Ja«, sagte Nugent, ließ sich auf einem Stuhl nieder und konsultierte ein Blatt Papier. »Die Psychiaterin sagt, Sie wären unkooperativ.«
    »Wer? N.?«
    »Dr. Stegall.«
    »Diese Person mit dem dicken Hintern und dem unvollständigen Vornamen? Ich habe nur einmal mit ihr gesprochen.«
    »Waren Sie unkooperativ?«
    »Das hoffe ich. Ich bin seit fast zehn Jahren hier, und jetzt, wo ich schon mit einem Fuß im Grabe stehe, bewegt sie ihren fetten Arsch hierher und will wissen, wie es mir geht. Die wollte mir nur Tabletten geben, sonst nichts, damit ich schön hinüber bin, wenn ihr mich holen kommt. Das macht euren Job einfacher, stimmt's?«
    »Sie hat nur versucht, Ihnen zu helfen.«
    »Dann segne sie Gott. Sagen Sie ihr, es täte mir leid. Wird nicht wieder vorkommen. Am besten, Sie machen einen Vermerk in meiner Akte.«
    »Wir müssen über Ihre letzte Mahlzeit reden.«
    »Weshalb ist Packer mit hier drinnen?«
    Nugent warf einen Blick auf Packer, dann sah er Sam an.
    »Weil es Vorschrift ist.«
    »Er ist hier, um Sie zu beschützen, stimmt's? Sie haben Angst davor, mit mir in diesem Raum allein zu sein, ist es nicht so, Nugent? Ich bin fast siebzig, schwach und halbtot vom Rauchen, und Sie haben Angst vor mir, einem verurteilten Mörder.«
    »Nicht im mindesten.«
    »Wenn ich wollte, könnte ich Sie durch den ganzen Raum prügeln.«
    »Ich bin starr vor Angst. Also, Sam, lassen Sie uns zur Sache kommen. Was möchten Sie haben als letzte Mahlzeit?«
    »Heute ist Sonntag. Meine letzte Mahlzeit ist für Dienstag abend vorgesehen. Weshalb belästigen Sie mich jetzt schon damit?«
    »Wir müssen Pläne machen. Sie können alles haben, innerhalb vernünftiger Grenzen.«
    »Wer wird das Essen zubereiten?«
    »Unsere Küche hier.«
    »Oh, wundervoll! Der gleiche talentierte Küchenchef, der mir neuneinhalb Jahre lang Schweinefraß vorgesetzt hat. Was für eine Abwechslung.«
    »Was möchten Sie, Sam? Ich versuche, vernünftig zu sein.«
    »Wie wäre es mit Toast und gekochten Mohren? Es widerstrebt mir, dem Koch etwas Neues abzuverlangen.«
    »Also gut, Sam. Wenn Sie wissen, was Sie

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