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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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und dachte einen Moment nach. »Also, Sam, wenn ich ganz ehrlich sein soll, ich würde nicht sterben wollen, ohne diese Sünden gestanden und Gott um Vergebung gebeten zu haben.«
    Sam nickte immer noch.
    »Wie viele?«
    Sam rutschte vom Schreibtisch herunter und schlüpfte in seine Duschsandalen. Er zündete sich langsam eine Zigarette an und begann, hinter Griffins Stuhl hin- und herzuwandern. Der Reverend drehte sich so um, daß er Sam sehen und hören konnte.
    »Da war Joe Lincoln, aber ich habe bereits einen Brief an seine Angehörigen geschrieben und gesagt, daß es mir leid tut.«
    »Sie haben ihn getötet?«
    »Ja. Er war ein Schwarzer. Hat auf unserem Hof gewohnt. Ich habe mir deshalb immer Vorwürfe gemacht. Das war so um 1950 herum.«
    Sam blieb stehen und lehnte sich an einen Aktenschrank. Er sprach zum Fußboden, fast wie in Trance. »Und dann waren da zwei Männer, Weiße, die bei einer Beerdigung meinen Vater getötet haben, vor vielen Jahren. Sie saßen eine Weile im Gefängnis, und als sie wieder herauskamen, haben ich und meine Brüder geduldig gewartet. Wir haben sie beide umgebracht, aber um ehrlich zu sein, habe ich deshalb nie ein schlechtes Gewissen gehabt. Sie waren Abschaum, und sie hatten unseren Vater getötet.«
    »Töten ist immer ein Unrecht. Sie selbst kämpfen gerade gegen Ihre legale Tötung an.«
    »Ich weiß.«
    »Hat man Sie und Ihre Brüder verhaftet?«
    »Nein. Der alte Sheriff hatte uns im Verdacht, aber er konnte uns nichts nachweisen. Wir waren zu vorsichtig gewesen. Außerdem waren sie das letzte Gesindel, und niemand weinte ihnen eine Träne nach.«
    »Das macht es nicht besser.«
    »Ich weiß. Ich war immer der Meinung, daß sie verdient hatten, was sie bekamen. Aber dann wurde ich hierher gebracht. Das Leben bekommt einen neuen Sinn, wenn man im Todestrakt sitzt. Man begreift, wie wertvoll es ist. Jetzt tut es mir leid, daß ich diese Kerle getötet habe. Wirklich leid.«
    »Sonst noch jemand?«
    Sam wanderte Schritte zählend durch den Raum und kehrte dann zu dem Aktenschrank zurück. Der Geistliche wartete. Zeit hatte jetzt keinerlei Bedeutung.
    »Da waren noch ein paar Lynchmorde, vor vielen Jahren«, sagte Sam, nicht imstande, Griffin in die Augen zu sehen.
    »Zwei?«
    »Ich glaube, ja. Vielleicht auch drei. Nein, ja, es waren drei, aber beim ersten war ich noch ein kleiner Junge, und alles, was ich getan habe, war zusehen, Sie wissen schon, aus einem Gebüsch heraus. Es war eine Klan-Sache, und mein Vater war beteiligt, und ich und mein Bruder Albert sind in den Wald geschlichen und haben zugesehen. Das zählt also nicht, oder?«
    »Nein.«
    Sams Schultern sackten gegen die Wand. Er schloß die Augen und senkte den Kopf. »Beim zweiten war es schon schlimmer. Ich war ungefähr fünfzehn, glaube ich, und ich war mittendrin. Eine Frau war von einem Schwarzen vergewaltigt worden, jedenfalls behauptete sie, es wäre Vergewaltigung gewesen. Ihr Ruf ließ viel zu wünschen übrig, und zwei Jahre später bekam sie ein Kind, das halb afrikanisch war. Also wer weiß? Jedenfalls zeigte sie mit dem Finger auf diesen Mann, wir schnappten ihn uns, schleppten ihn hinaus und lynchten ihn. Ich war ebenso schuldig wie der Rest der Horde.«
    »Gott wird Ihnen vergeben, Sam.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Ganz sicher.«
    »Wie viele Morde wird er vergeben?«
    »Alle. Wenn Sie ihn aufrichtig um Vergebung bitten, dann wäscht er alle Schuld ab. So steht es in der Bibel.«
    »Das ist zu schön, um wahr zu sein.«
    »Was ist mit dem anderen Lynchmord?« Sam schüttelte den Kopf, hin und her, mit geschlossenen Augen. »Über den kann ich nicht reden, Reverend«, sagte er mit einem tiefen Seufzer. »Sie brauchen nicht mit mir darüber zu reden, Sam. Reden Sie einfach mit Gott.«
    »Ich weiß nicht, ob ich mit irgend jemandem darüber reden kann.«
    »Natürlich können Sie das. Machen Sie einfach in einer der Nächte zwischen heute und Dienstag die Augen zu, während Sie in Ihrer Zelle sind, und beichten Sie Gott all diese Taten. Er wird Ihnen auf der Stelle vergeben.«
    »Irgendwie kommt mir das nicht richtig vor. Man bringt jemanden um, und in Minutenschnelle hat Gott einem vergeben. Einfach so. Das ist zu einfach.«
    »Es muß Ihnen ehrlich leid tun.«
    »Oh, das tut es. Ich schwöre es.«
    »Gott kann es vergessen, Sam, aber die Menschen nicht. Wir müssen uns vor Gott verantworten, aber auch vor den Gesetzen der Menschen. Gott wird Ihnen vergeben, aber Sie müssen die Konsequenzen tragen,

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