Die Kammer
Jurastudenten redeten gleichzeitig in schnurlose Telefone. Zwei hatten die Füße auf den Tisch gelegt. Einer stand ernsthaft redend am Fenster. Eine Studentin wanderte an der gegenüberliegenden Wand entlang und hatte das Telefon ans Ohr geklemmt. Adam blieb an der Tür stehen und versuchte, die Szenerie in sich aufzunehmen. Carmen war hoffnungslos verwirrt.
Goodman erklärte laut flüsternd, was da vor sich ging. »Wir machen im Durchschnitt stündlich sechzig Anrufe. Wir wählen öfter, aber die Leitungen sind ständig besetzt. Dafür sind natürlich wir verantwortlich, und das bewirkt, daß andere Leute nicht durchkommen. Übers Wochenende war nicht soviel los. Die Hotline war nur mit einer Person besetzt.« Er gab diese Zusammenfassung wie ein stolzer Fabrikdirektor, der Besuchern das Neueste an vollautomatischen Maschinen vorführt.
»Wen rufen sie an?« fragte Carmen.
Ein Jurastudent trat zu ihnen und stellte sich erst Adam und dann Carmen vor. Es machte ihm viel Spaß, sagte er. »Möchten Sie etwas essen?« fragte Goodman. »Wir haben Sandwiches hier.« Adam lehnte ab.
»Wen rufen sie an?« fragte Carmen noch einmal.
»Die Hotline des Gouverneurs«, erwiderte Adam, ohne eine Erklärung zu liefern. Er hörte dem ihm am nächsten stehenden Anrufer zu, der seine Stimme verstellte und einen Namen aus einem Telefonverzeichnis ablas. Er war jetzt Benny Chase aus Hickory Flat, Mississippi, und er hatte für den Gouverneur gestimmt und war nicht dafür, daß Sam Cayhall hingerichtet wurde. Es war an der Zeit, daß der Gouverneur einschritt und sich endlich um die Sache kümmerte.
Carmen blickte ihren Bruder an, aber er ignorierte sie.
»Diese vier sind Jurastudenten vom Mississippi College«, erklärte Goodman weiter. »Wir haben seit Freitag ungefähr ein Dutzend Studenten eingesetzt, unterschiedlichen Alters, Weiße und Schwarze, Männer und Frauen. Professor Glass hat mir sehr geholfen, die richtigen Leute zu finden. Er hat seinerseits auch angerufen. Ebenso Hez Kerry und seine Leute von der Defense Group. Wir haben mindestens zwanzig verschiedene Anrufer.«
Sie zogen drei Stühle zum Ende des Tisches und setzten sich. Goodman holte Soft Drinks aus einer Plastikkühlbox und stellte sie auf den Tisch. Dann redete er mit leiser Stimme weiter. »John Bryan Glass ist gerade mit Recherchen beschäftigt. Er wird bis vier einen Schriftsatz fertig haben. Auch Hez Kerry ist am Werk. Er fragt bei seinen Kollegen in anderen Staaten mit der Todesstrafe nach, ob dort in letzter Zeit ähnliche Gesetze zur Anwendung gekommen sind.«
»Kerry ist dieser Schwarze?« fragte Adam.
»Ja, er ist der Leiter der Southern Capital Defense Group. Sehr kluger Kopf.«
»Ein schwarzer Anwalt, der alles daransetzt, um Sam zu retten?«
»Das macht für Hez keinen Unterschied. Für ihn ist es nur ein Hinrichtungsfall wie jeder andere auch.«
»Ich würde ihn gern kennenlernen.«
»Das werden Sie. All diese Leute werden bei der Anhörung dabeisein.«
»Und sie arbeiten unentgeltlich?« fragte Carmen.
»Gewissermaßen. Kerry bekommt ein Gehalt. Zu seinem Job gehört es, sich um jeden zum Tode Verurteilten in diesem Staat zu kümmern, aber weil Sam seine eigenen Anwälte hat, braucht er das in diesem Fall nicht. Er opfert seine Zeit, aber das ist etwas, das er tun möchte. Professor Glass wird von der Universität bezahlt, aber das hier liegt eindeutig außerhalb seiner normalen Tätigkeit. Den Studenten zahlen wir fünf Dollar pro Stunde.«
»Und wer bezahlt sie?«
»Die gute alte Firma Kravitz & Bane.«
Adam griff nach dem nächsten Telefonbuch. »Carmen braucht für heute nachmittag einen Flug«, sagte er, die Gelben Seiten durchblätternd.
»Ich kümmere mich darum«, sagte Goodman und nahm Adam das Telefonbuch ab. »Wohin?«
»Nach San Francisco.«
»Ich werde sehen, wo noch etwas frei ist. Übrigens, gleich um die Ecke ist ein kleines Restaurant. Wie war's, wenn ihr beide dort etwas essen würdet? Um zwei machen wir uns dann auf den Weg zum Büro des Gouverneurs.«
»Ich muß in eine Bibliothek«, sagte Adam nach einem Blick auf die Uhr. Es war kurz vor eins.
»Gehen Sie essen, Adam. Und versuchen Sie sich zu entspannen. Wir haben später noch genügend Zeit, uns mit den anderen zusammenzusetzen und über unsere Strategie zu reden. Aber vorher müssen Sie sich entspannen und etwas essen.«
»Ich habe Hunger«, sagte Carmen, die mit ihrem Bruder ein paar Minuten allein sein wollte. Sie verließen den Raum und machten
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