Die Kampagne
Schmutzkampagne.«
»Hast du eine Ahnung, wer dafür verantwortlich sein könnte?«
Anna schüttelte den Kopf. »Das weiß bis jetzt niemand. Es muss nicht unbedingt eine große Gruppe sein. Es sind keine Unsummen nötig, so eine Sache anzuleiern, obwohl diese Sonderbeilage sicher nicht billig war. Ein paar gute Computerleute können die ganze Welt mit Propaganda überfluten. Das haben wir schon oft genug erlebt.«
»Und aus irgendeinem Grund sind alle anderen auf den Zug aufgesprungen.«
Anna schaute auf den Computer und scrollte die Seite durch. »Böses Russland hier, böses Russland da ... Mein Institut hat mehrere Untersuchungen über Russlands Rückkehr zur Autokratie veröffentlicht. Das interessiert mich persönlich und von Berufs wegen. Im Moment gibt es Spannung zwischen Moskau und dem Rest der Welt, und das hier ist da bestimmt nicht hilfreich.«
»Nun ja, wenn man früh genug gewarnt ist, kann man entsprechend aufrüsten«, bemerkte Shaw.
Anna schaute ihn nachdenklich an. »Genau da liegt das Problem. Unter solchen Umständen neigt mancher dazu, schneller den Abzug zu betätigen als klug wäre.«
»Jaja, die gute alte Zeit«, sagte Shaw. »Der Kalte Krieg in einer Neuinszenierung.«
Anna blickte ihn seltsam an. »Vielleicht will jemand die alte Weltordnung wieder zurück.«
Der Regen hatte aufgehört, und Shaw blieben noch zwei Tage mit Anna ... vielleicht aber auch sein ganzes Leben.
Er nahm sie in die Arme und sagte: »Zum Teufel mit den Russen.«
Er drückte Anna so fest an sich, dass sie keuchte: »Shaw, ich krieg keine Luft.«
Er ließ sie los, trat einen Schritt zurück und schaute nach unten.
Sie legte ihm einen Finger unters Kinn und drückte es hoch. »Wir sind verlobt. Du solltest glücklich sein.«
»Das bin ich auch. Glücklicher als je zuvor.«
»Du siehst aber nicht glücklich aus.«
»Weil wir uns wieder trennen müssen.«
»Aber nicht für lange. Bald sind wir wieder zusammen.«
Shaw umarmte sie erneut, drückte sie diesmal aber nicht so fest.
Dafür gibt es keine Garantie.
Kapitel 16
Z wei Tage später verabschiedete Shaw sich mit einem Kuss von der weinenden Anna.
»Wir müssen noch den Hochzeitstermin festlegen«, sagte er.
Sie schaute ihn seltsam an. »Ja, sicher.«
Shaw fuhr in seinem Leihwagen davon, aber nicht zum Flughafen, sondern nach Malahide Castle.
Malahide war Gälisch und bedeutete »auf der Stirn des Meeres«. Die Burg lag auf der Halbinsel von Howth im Norden der Bucht von Dublin. Sie war auf einer Anhöhe errichtet worden, von wo man einen weiten, ungehinderten Blick aufs Meer hatte, denn in alten Zeiten waren die Feinde häufig mit dem Schiff gekommen, um zu plündern und zu morden. Auf dem Gelände der Burg kam Shaw an großen Rasenflächen vorbei, auf denen einheimische Teams Rugby oder Cricket spielten. Von axtschwingenden Plünderern, die übers Meer gekommen waren, war nirgends mehr eine Spur zu sehen.
Shaw zahlte den Eintritt und wurde in die älteste noch bewohnte Burg Irlands gelassen. Von 1185 bis in die Siebzigerjahre des 20. Jahrhunderts hatte Malahide Castle ohne Unterbrechung der Familie Talbot gehört. Es sah hier genauso aus, wie man es von einer mittelalterlichen Festung erwartete: errichtet aus massiven Steinblöcken und mit beeindruckenden, runden Türmen an den Ecken, an denen Efeu emporrankte.
Shaw wartete, bis die Führung zu Ende war; dann ging er zu der kleinen, dünnen Frau, die gerade einer Hand voll Touristen alles über Malahide Castle, die Familie Talbot, die Schlacht am Boyne, die verschwundene Jungfrau und die vier Geister des Gemäuers erzählt hatte, einschließlich des koboldhaften »Puck«.
»Hallo, Leona.«
Die Frau erstarrte. Zuerst zögerte sie; dann drehte sie sich um und blickte zu Shaw hinauf. Leona Bartaroma war Mitte sechziger, doch ihr langes Haar war noch immer dunkel, ihr Gesicht beinahe faltenlos, die Lippen voll und rot geschminkt, was zu ihrer natürlichen Hautfarbe passte.
Sie sagte kein Wort, nahm Shaw am Arm, führte ihn rasch in einen kleinen Raum und schloss die Tür hinter ihnen.
»Was tust du denn hier?«, stieß sie hervor.
»Freust du dich denn gar nicht, mich zu sehen?«
»Wenn Frank herausfindet ...«
»Dank dir weiß Frank immer genau, wo ich bin.« Shaw drückte den Finger auf seine rechte Körperseite, dort, wo sich die Narbe befand. »Deshalb bin ich hier.«
Leona setzte sich hinter einen kleinen Holzschreibtisch, der mit geschnitzten Putten verziert war. »Ich verstehe dich
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