Die Kampagne
nicht, Shaw. Ich glaube, ich habe dich nie verstanden.«
»Ich möchte, dass du es herausoperierst.«
»Ich bin im Ruhestand. Ich mache jetzt Führungen. Mit Chirurgie habe ich nichts mehr am Hut.«
Shaw trat näher an den Schreibtisch heran. »Eine Operation wirst du ja wohl noch schaffen.«
»Unmöglich.« Sie begann, die Papiere auf ihrem Tisch hin und her zu schieben.
»Nichts ist unmöglich, wenn man es nur entschlossen genug will.«
»Du bist ein Dummkopf.«
»Auch ich gehe bald in den Ruhestand, Leona, und ich will das Ding raushaben.«
»Dann such dir jemand anderen.« Ohne den Blick zu heben, deutete sie in den Raum hinein, als stünde irgendwo in einer Ecke noch jemand, der über chirurgische Fähigkeiten verfügte.
»Nein, ich brauche dich, Leona. Ich weiß noch, wie du mir das Ding eingepflanzt hast. Wenn es nicht richtig herausgeholt wird ...«
Ihr dunkles Gesicht wurde sichtlich blasser. »Ich weiß gar nicht, wovon du redest.«
»Dirk Lundrell. Erinnerst du dich noch an ihn? Er hat versucht, seins rausmachen zu lassen. Sie haben noch immer nicht alle Teile von ihm gefunden.«
»Lundrell ist auch zu mir gekommen. Ich habe ihm das Gleiche gesagt wie dir: Nein!«
»Und wenn Frank einverstanden ist? Was dann?«
»Du glaubst doch nicht im Ernst, dass Frank so einer Operation zustimmen würde?«, sagte Leona verächtlich. »Wie ich hörte, kommt ihr beide noch immer nicht miteinander klar.« Sie lächelte. »Und Ruhestand? In deinem Job geht man nicht in den Ruhestand, Shaw.«
»Ich werde heiraten. Noch zwei Jobs, und das war's.«
»Ich weiß, was du in den vergangenen sechs Jahren gemacht hast«, sagte Leona in nüchternem Tonfall. »Und ich weiß auch, welche Risiken du eingegangen bist.« Sie hielt kurz inne, um ihn zu mustern. »Wie heißt die Frau?«
»Was?«
»Deine Verlobte. Wie heißt sie?«
»Anna.«
»Ich war auch mal verheiratet.« Leona schaute auf ihre Hände. »Liebst du sie sehr?«
»Sonst würde ich sie nicht heiraten.«
Leona schwieg einen Augenblick, während Shaw sie stumm musterte.
»Also gut. Wenn Frank einverstanden ist, hole ich dir das Ding raus.«
»Und werde ich es überleben?«
»Keine Operation ist ohne Risiko«, erwiderte Leona, fügte jedoch rasch hinzu: »Natürlich wirst du es mit größter Wahrscheinlichkeit überleben.«
Shaw stand auf. »Mehr wollte ich nicht wissen. Wir bleiben in Verbindung.« Er wandte sich zum Gehen.
»Wo kommt Anna her?«, wollte Leona wissen.
»Aus Deutschland.«
»Deutsche Frauen geben gute Ehefrauen ab. Hab ich jedenfalls gehört.«
Shaw schloss die Tür hinter sich. Nun musste er nur noch Frank überzeugen und die nächsten Tage überleben.
Drei Stunden später fuhr er mit einem Hochgeschwindigkeitskatamaran über die Irische See nach England. Normalerweise wäre er von Dublin nach Edinburgh geflogen, doch seine Anweisungen waren klar gewesen: zuerst die Fähre; dann, von Holyhead aus, den Schnellzug durch Wales nach London. Von dort mit einem Nachtzug in die schottische Hauptstadt. Shaw würde frühmorgens dort ankommen. Dabei hätte der Flug von Dublin nach Edinburgh nur eine Stunde gedauert.
In der Lounge des Katamarans saß Shaw am dritten Tisch von rechts an der Wand. Eine Lampe stand auf dem Tisch. Shaw hatte sie immer wieder aus- und eingeschaltet, in genau dem Rhythmus, wie man es ihm gesagt hatte.
Während er wartete, schlug er das Buch auf, um Annas Widmung zu lesen. Die Widmung war auf Französisch, doch Shaws Sprachkenntnisse reichten aus, um sie zu verstehen. Die Widmung war kurz und schlicht:
Liebe ohne Vertrauen ist nichts.
Als Shaw das Buch wieder zuklappte, hob er instinktiv den Blick.
Angelockt von den Lichtzeichen mit der Lampe kam ein Mann auf ihn zu.
Kapitel 17
S haw traf in Edinburgh ein und ging vom Bahnhof zum Balmoral Hotel an der North Bridge. Annas Widmung hatte sich ihm förmlich eingebrannt. Liebe ohne Vertrauen ist nichts. Gegen drei Uhr morgens schlief er ein und träumte von einem Leben mit Anna, einer Familie.
Vielleicht war das ja der Grund dafür, warum es begann ... schon wieder.
»Muddi! Wo ist Muddi?«
»Halt's Maul, du elendes Stück Scheiße. Du hast keine Mutter!«
Der kleine Junge, der gerade aus einem Albtraum erwacht war, schrie immer lauter: »Muddi!«
Einer der älteren Jungen äffte den Kleinen nach. »Muddi! Wo ist Muddi? Muddi ist tot. Deshalb bist du ja in 'nem Waisenhaus, du Blödmann.«
Ein anderer Junge lachte und spottete: »Muddi ist hinüber! Muddi
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