Die Kampagne
Tagen. Genieß Dublin bis dahin. Und deine Freundin.«
Die Leitung war tot.
»Ich hasse dich, Frank«, flüsterte Shaw.
Kapitel 14
S haw schlich in das kleine Badezimmer. Die meisten europäischen Bäder waren klein; offenbar benötigten die Menschen hier weniger Platz, um zu baden und sich zu erleichtern, als der Rest der Welt. Er spritzte sich Wasser ins Gesicht, schaute auf und musterte sich im Spiegel.
Die meisten Leute hätten sein Gesicht als »rau« beschrieben. Selbst Anna hatte ihn einmal als »auf raue Art attraktiv« charakterisiert. Sein auffälligstes Merkmal waren immer schon seine Augen gewesen. Sie waren von einem ungewöhnlich hellen Blau, das so gar nicht zu seiner dunklen Hautfarbe passen wollte, die eher südländisch als angelsächsisch wirkte. Auch sein Haar war dunkel und wellig und hatte bisweilen seinen eigenen Willen. »Hübsch zerzaust« hatte Anna es einmal genannt. Doch wenn Shaw sich selbst anschaute, sah er nur einen gepeinigten Mann mit Narben, die so tief waren, dass er es kaum ertragen konnte.
Als hätte sie gefühlt, dass Shaw an sie dachte, erschien Anna plötzlich hinter ihm und schlang die Arme um seine nackten, kräftigen Schultern.
Sie trug sein T-Shirt. Bei Shaw saß es so eng, dass es sich über der Brust spannte, doch bei Anna wirkte es beinahe wie ein Kleid, obwohl sie auch nicht gerade klein war.
»Kannst du nicht schlafen?«, fragte sie.
»Es ist der Regen. Ich mag es nicht, wenn es nachts regnet.«
»Ich dachte, ich hätte dich mit jemandem reden hören.«
Shaw blickte sie im Spiegel an, während sie mit dem Finger über die Narbe an seiner Kehle fuhr - ein Souvenir von einem Besuch in der Ukraine. Anna hatte er gesagt, die Narbe stamme von einem Motorradunfall. In Wahrheit hatte er sie dem Wurfmesser eines Ex-KGB-Agenten zu verdanken, dessen einzige Qualifikation für den Job darin bestanden hatte, ein mordlüsterner Irrer zu sein. Das Messer hatte Shaws Halsschlagader um knapp zwei Zentimeter verfehlt. Trotzdem wäre er fast verblutet - und das an einem Ort, gegen den die Metzgerei in Istanbul, wo er Frank zurückgelassen hatte, wie die Mayo-Klinik wirkte.
Shaw hatte eine zweite Narbe an der rechten Körperseite, von deren Herkunft er Anna nie erzählt hatte, und das aus gutem Grund: Am liebsten hätte er vergessen, dass die Narbe überhaupt da war, denn jedes Mal, wenn er daran dachte, empfand er Scham. Er war gebrandmarkt. Wie ein Pferd. Nein, wie ein Sklave. Tatsächlich war das einer der Gründe, weshalb er jetzt in Dublin war: Er wollte etwas gegen dieses kleine Geschenk unternehmen.
»Und?«, hakte Anna nach. »Hast du mit jemandem gesprochen?«
Frank, die Narben und der KGB-Schlächter verschwanden aus Shaws Gedanken. Er fragte sich, ob Anna es sich vielleicht anders überlegte. Sein Antrag war mit einem tränenreichen Ja beantwortet worden - so leise, dass er es kaum hatte hören können. Dann hatten Leidenschaft und freudige Erregung die zukünftige Braut übermannt, und sie hatte den Antrag in neun weiteren Sprachen angenommen und ihren Tränen freien Lauf gelassen, sodass schließlich auch Shaw dem Weinen so nahe gewesen war wie nie zuvor als erwachsener Mann.
Doch nun lag noch etwas anderes als Glück in Annas Stimme. Es ist an der Zeit, es ihr zu sagen, beschloss Shaw.
Erneut spritzte er sich Wasser ins Gesicht, leckte ein paar Tropfen von seinen Fingern und drehte sich zu Anna um.
»Hör mal ... Ich bin gar kein Unternehmensberater«, begann er, »spezialisiert auf internationale Fusionen und Übernahmen ...«
»Ich weiß.«
»Was?«
»Ich kenne viele Unternehmensberater. Die wenigsten können zwei Bewaffnete k. o. schlagen, und noch seltener haben sie Messernarben am Leib. Und sie protzen fast immer mit ihrem Geld. Außerdem habe ich deine Wohnung noch nie gesehen. In London sind wir ja immer bei mir.«
»Und das sagst du mir erst jetzt?«
»Weil es jetzt anders zwischen uns ist. Schließlich wollen wir heiraten.«
»Und wenn ich dir nicht gesagt hätte, was ich tue?«
»Dann hätte ich dich gefragt.«
»Willst du mich jetzt nicht mehr?«
»Hm, ich könnte immer noch Nein sagen ...«
»Ich bin kein Verbrecher.«
»Ich weiß. Sonst wäre ich nicht hier. Und jetzt sag mir die Wahrheit.«
Shaw lehnte sich mit dem Rücken ans Waschbecken und sammelte seine Gedanken. »Ich arbeite für eine internationale Polizeieinheit, die von den G8-Staaten gegründet worden ist. Wir kümmern uns um Dinge, die für einzelne Staaten entweder zu
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