Die Kampagne
und sie wissen ließ, was für bedeutsame Arbeit sie leisteten. Der rätselhafte Besitzer der Phoenix Group war Anna als ein Mann beschrieben worden, der reges Interesse an den »großen Fragen der Menschheit« habe. Und er bezahlte Leute wie Anna sehr gut dafür, Antworten auf diese Fragen zu suchen. Dabei ließ er Anna und den anderen Mitarbeitern freie Hand, ihren Leidenschaften zu frönen. Es gab nur wenige Jobs mit so viel Spielraum. Es war die anregendste Arbeit, die Anna je gemacht hatte. Wenn sie doch nur auch ihr Privatleben so in Form bringen könnte!
Anna schloss die Tür hinter sich ab und stieg die Treppe hinauf. Ihr Büro lag am Ende des Flurs im Obergeschoss. Sie ging an den anderen Räumen vorbei. Alle waren leer mit Ausnahme des Büros direkt neben ihrem, wo ein Kollege, Avery Chisholm - ein eingerosteter alter Akademiker -, sich an einem Projekt abmühte. Sein schlohweißes Haar ragte nur knapp hinter den Bücherstapeln hervor, die sich vor ihm auftürmten. Er hob kurz die Hand als Antwort auf Annas Gruß.
Anna setzte sich hinter ihren großen Schreibtisch, der mit Büchern und Papierstapeln vollgepackt war, und stürzte sich in die Aufgabe, der Welt einen Sinn zu geben. Sie und ihre Kollegen schrieben einen Essay nach dem anderen, publizierten Buch um Buch und hielten zahllose Vorträge, die eine wahre Fundgarbe für Regierungen und Wirtschaftsführer von den USA bis Japan sein sollten. Doch Anna wusste nur zu gut, dass kaum jemand von diesen Leuten sich die Mühe machte, auch nur ein Wort von ihrer Arbeit zu lesen.
Sie ging online und klickte sich durch ein paar Chaträume. Wann immer sie Fragen zur Schuld der Russen oder dem »wahren« Ursprung der Roten Gefahr stellte, wurde sie von allen Seiten angegriffen. Die Leute bezweifelten ihren Glauben und stellten ihren Patriotismus infrage, obwohl sie noch nicht einmal wussten, ob sie überhaupt einen Glauben hatte oder aus welchem Land sie kam. Auch beschimpfte man sie als Gorschkows Arschkriecherin, als Verräterin an der Menschheit oder einfach nur als dreckige Schlampe.
Anna zog sich aus dieser Welt wieder zurück und dehnte ihre Suche aus, bis sie einen obskuren Blogger in einer weit entfernten Galaxie des Cyberspace fand. Er stellte einige der gleichen Fragen, die auch Anna stellte, und der Blogger hegte ähnliche Zweifel. Anna schickte ihm eine detaillierte E-Mail und hoffte, bald Antwort zu erhalten.
Das sollte sie auch. Doch so hätte sie sich die Antwort nie und nimmer vorgestellt.
Kapitel 27
A nna Fischer war eine bemerkenswert intelligente Frau mit Abschlüssen an international renommierten Universitäten. Trotzdem hatte sie gerade einen kapitalen Fehler begangen. Zu ihrer Verteidigung muss man allerdings einräumen, dass sie unmöglich hatte wissen können, dass es ein Fehler war.
Der Blogger, dem Anna ihre eigenen Vorbehalte in aller Ausführlichkeit geschildert hatte, war nicht der, der er zu sein schien. Er war nicht mal eine Person aus Fleisch und Blut, sondern digitaler Nebel.
Dick Pender und seine Leute hatten die Vorgänge in mehreren Tausend Chaträumen auf der ganzen Welt beobachtet. Bit um Bit flogen die Nachrichten über die riesigen Computerbildschirme. Natürlich drehte sich alles um die Rote Gefahr. Pender lächelte, als der Computer die Prozentzahl der Personen berechnete, die fest davon überzeugt waren, dass tatsächlich die Russen hinter alldem steckten: fast 98 Prozent.
Pender beobachtete auch - und das mit sichtlicher Freude -, wie sich sogleich wahre Armeen von Chattern auf jemanden stürzten, der die von ihm etablierte »Wahrheit« hinterfragte. In Tausenden von Diskussionsforen postete Pender vorgefertigte Antworten und spie Fakten über Fakten aus - die natürlich nicht auf Fakten basierten -, und er grinste, wann immer die Chathorde ihn als Helden und Verkünder überlegener Weisheiten feierte.
Mein Gott, dachte Pender, es war so leicht, eine populäre Meinung zu vertreten, auch wenn sie vollkommen falsch war. Dafür brauchte man nicht einmal ein Mindestmaß an Mut.
Eine Minute später wurde sein Lächeln sogar noch breiter. Er hatte gerade überprüft, was er eine seiner »virtuellen Bärenfallen« nannte. Diese hier war der Blogger, an den Anna ihre E-Mail geschickt hatte. Penders Leute hatten die Falle gestellt - zusammen mit mehreren anderen -, um das Interesse eines jeden zu wecken, der auf den Gedanken kommen könnte, die Sache mit der Roten Gefahr sei nur ein ausgefeiltes Lügengebäude. Es war
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