Die Kampagne
wichtig zu wissen, ob es eine Gegenbewegung gab, die ernsthaft an den Schrecken in Russland zweifelte.
Wenn Pender solch eine Bewegung entdeckte, hatte er mehrere Strategien, sie zu zerschlagen. Eine seiner Lieblingsmaßnahmen war, einen ungeheuerlichen Vorfall zu inszenieren, der jedermanns Aufmerksamkeit von dem Problemfeld ablenkte. Im Laufe der Jahre hatte er solche Aktionen schon kurzfristig für Regierungen in Washington, London, Paris und Tokio durchführen müssen. Solche Dinge brauchte man für gewöhnlich in Wahlkampfzeiten, bei Skandalen, Kriegen und Streitigkeiten um den Staatshaushalt.
Nur wenige Leute sandten E-Mails an die Webseiten, die als Falle dienten. Die meisten Menschen schienen akzeptiert zu haben, dass alles, was man über die Russen sagte, der Wahrheit entsprach. Sie waren vollends zufrieden damit, ihr Leben lang Schafe zu sein, und das kam Pender nur zupass. Natürlich gab es auch andere, die alles über den R.I.C. wissen wollten und die verdammt tief gruben. Also fütterte Pender sie hier und da mit ein paar kleineren Häppchen, um ihren größten Hunger zu stillen. Es war nicht sonderlich schwer, ihnen immer einen Schritt voraus zu sein. Die Medien mussten jede Menge Storys abdecken und Titelgeschichten schreiben, während Pender sich nur um eines kümmern musste: um das, was Nicolas Creel wollte. Diese Technik nannte er »getimten Informationsfluss«. Wann immer er es für nötig hielt, ließ er gezielt etwas durchsickern; so hatte er die Medien nun genau da, wo er sie haben wollte. Sie reagierten nur noch.
Die wenigen Personen, die sich auf den Webseiten gemeldet hatten, die als Falle dienten, waren bereits von Penders Leuten überprüft und als unwichtig eingestuft worden. Im Gegensatz zu den üblichen Chaträumen musste man diese Bärenfallen schon aufwendig suchen. Das allein bedeutete mehr Mühe, als Otto Normalchatter auf sich zu nehmen bereit war. Pender hatte keine Ahnung, wer diese Anna Fischer war, doch ein Name in ihrer Adresse erregte seine Aufmerksamkeit.
»The Phoenix Group«, murmelte er vor sich hin. Den geografischen Ursprung der Mail hatte er bereits überprüft. Die Phoenix Group befand sich in London. Außerdem hatte Pender eine rasch zusammengestellte Akte auf seinem Schreibtisch: Die Phoenix Group war ein Think-Tank in Westminster, nicht weit vom Buckingham-Palast entfernt. Die genauen Eigentumsverhältnisse waren unbekannt.
Pender rieb sich nachdenklich das Kinn. Im Wall Street Journal würde demnächst ein Artikel erscheinen, der ein wenig Zweifel säen könnte, was die Zehntausende toter Russen betraf. Pender kannte den Journalisten, der die Story geschrieben hatte. Er war ein guter Mann, aber ein bisschen faul und bekannt dafür, eine Story nicht weiterzuverfolgen, wenn sich Schwierigkeiten ergaben oder das Thema unpopulär wurde. Pender hatte seinen Stab angewiesen, vier Nachrichten im Web zu verbreiten, die nahelegten, dass die Lebensläufe einiger Toter möglicherweise falsch seien, was aber eher an den fehlerhaften Regierungsakten liege und keinesfalls die Bedeutung dieses unzweifelhaften Massenmordes an der russischen Bevölkerung herabsetzen dürfe; dies würde das Andenken Ermordeter beschmutzen. Pender würde außerdem ein paar »Experten« in diverse Fernsehshows schicken, die diesen Punkt noch einmal nachdrücklich hervorhoben.
Pender war sicher, dass der Reporter vom Journal nicht als zynischer, Diktatoren liebender Mistkerl gelten wollte; deshalb würde er die Story fallen lassen. Außerdem hatte Pender Wind von einer BBC-Produktion bekommen, deren Produzentin nicht wusste, aus welchem Blickwinkel sie das Thema angehen sollte. Pender hatte eine anonyme Nachricht und drei »publizierte« Artikel vorbereiten lassen, die der verunsicherten Produzentin helfen sollten, guten Gewissens in eine Richtung zu gehen, die Penders und Creels Zielen zugutekäme. Er freute sich schon auf die Sendung.
Doch was diese Phoenix Group betraf, wusste Pender instinktiv, dass es genau das war, worauf zu achten Creel ihn angewiesen hatte. Also leitete er sämtliche Informationen auf elektronischem Weg an seinen Kunden weiter.
Dann machte er weiter mit dem, was er am besten konnte: einer leichtgläubigen Welt die »Wahrheit« verkaufen.
Ein aufregenderes Spiel war nie erfunden worden.
Kapitel 28
N icolas Creel saß im luxuriösen Heimkino in seinem Haus an der französischen Riviera und schaute sich das Ende von »Der Soldat James Ryan« an. Er liebte diesen Film,
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