Die Kampagne
Minute herrschte völlige Stille. Shaw starrte Frank an, was dieser mit einem Lächeln quittierte.
Shaw erfasste die Situation sofort: Ehe er Frank an den Kragen gehen könnte, hätten sie ihn umgebracht. Doch wenn die vergangenen sechs Jahre ihn eines gelehrt hatten, dann Geduld.
Shaw drehte sich zu dem kleinen, stiernackigen Kerl mit dem Lockenkopf um, der ungefähr in seinem Alter war und noch immer am Tisch saß. »Wer ist der Bursche, Frank? Dein Boss oder noch so ein Lakai?«
Falls Frank enttäuscht war, dass Shaw nicht versucht hatte, ihn anzugreifen, ließ er es sich nicht anmerken. Er lächelte weiter und winkte dem Mann am Tisch auffordernd zu.
»Ich bin weder das eine noch das andere, Mister«, sagte der Stiernackige. »Mein Name ist Edward Royce, und ich komme vom MI5.« Er reichte Shaw seine Karte.
»Und was ist so verdammt wichtig daran, dass Sie mich aus einem bequemen Sessel und von einer guten Flasche Guinness weggeholt haben, Mr. MI5?«
Royce schaute zu Frank und hob leicht die Augenbrauen. »Tut mir leid, dass ich Ihnen solche Unannehmlichkeiten bereite.«
»Kommen Sie zur Sache, ich muss zum Flugzeug«, sagte Shaw und schaute dabei Frank an.
Die Bemerkung ließ Royce abermals die Augenbrauen heben. »Offen gesagt, wenn es nach mir ginge, Mr. Shaw, wäre ich nicht hier. Der MI5 arbeitet zusammen mit Interpol an der Untersuchung des Phänomens der Roten Gefahr. Wir sind durchaus in der Lage, allein mit der Situation fertig zu werden, aber die Entscheidung liegt nicht bei mir. Meine Vorgesetzten haben Mr. Wells' Leute um Unterstützung gebeten, und er wiederum hat empfohlen, dass ich mich mit Ihnen treffen soll.«
»Und was soll ich tun?«, fragte Shaw ungeduldig.
»Man hat mir gesagt, Sie hätten hervorragende Kontakte in Moskau und sprächen fließend Russisch. Außerdem heißt es, Sie kämen gut mit gefährlichen Situationen zurecht. Das macht Sie ziemlich einmalig.«
»Ich war nicht freiwillig in Russland, müssen Sie wissen. Sie können sich also eine andere einmalige Person suchen, die für Sie den Kofferträger spielt.«
»Wollen Sie denn nicht wissen, was hinter der Roten Gefahr steckt?«
»Warum?«, erwiderte Shaw gelassen. »Ist es denn nicht wahr, was man über Russland sagt?«
»Wer soll das wissen, verdammt?«, rief Royce wütend. »Einiges davon stimmt sicherlich, aber hier geht es nicht um die Wahrheit. Wie Sie vermutlich wissen, schützt der MI5 das Vereinigte Königreich vor Terroristen, Spionen, Extremisten und ähnlichen Zeitgenossen. Dieses ganze Gerede von der Roten Gefahr hat die Büchse der Pandora geöffnet. Die Welt hängt im Augenblick an einem seidenen Faden. Viele Länder sind wie Pulverfässer, an denen nur noch die Lunte angezündet werden muss.«
»Wirklich? Da habe ich die Alarmzeichen wohl übersehen«, sagte Shaw.
Frank lachte verächtlich.
Royce fuhr rasch fort: »Jedenfalls, diese Kampagne treibt die Russen in eine Richtung, in die weder wir noch der Rest der EU sie gehen sehen wollen. Ein in die Ecke getriebener Russischer Bär ist für jedermann gefährlich, Mr. Shaw. Wir müssen die Situation entschärfen, und dazu müssen wir erst einmal herausfinden, wer hinter der Sache steckt.«
»Warum tun Sie sich dann nicht mit den Amerikanern zusammen? Falls nötig, können die dem Bären die Krallen ziehen.«
»Die Amerikaner gehen in dieser Angelegenheit wie immer ihren eigenen Weg. Aber Frank Wells hat eingewilligt, Sie mit uns zusammenarbeiten zu lassen, Mr. Shaw. Er hat gesagt, Sie hätten sogar den kürzlich ermordeten Sergej Petrow gekannt.«
Shaw warf einen Blick zu Frank, der ihn jedoch nur ungerührt anschaute.
»Wie großzügig von Frank, dass er Ihnen meine Dienste angeboten hat«, spottete Shaw. »Aber ich muss leider ablehnen. Mit allem Respekt, versteht sich.«
»Also schön!«, stieß Royce wütend hervor. »Dann soll es mir egal sein.«
Frank stand auf. »Hör zu, Shaw«, sagte er. »Wenn du die Sache übernimmst, können wir vielleicht auch über andere Dinge reden.«
»Ach, wirklich?« Shaw konnte sich nur mit Mühe beherrschen, nicht über den Tisch zu springen und Frank an die Gurgel zu fahren.
Frank legte nach: »Ja, wirklich. Ich bin immer offen zu dir gewesen, Shaw.«
»Ich werde darauf zurückkommen. Später.«
»Was?«, rief Frank. »Warum?«
»Ich habe im Augenblick Wichtigeres zu tun.«
»Wichtigeres, als die Gefahr zu bannen, dass die ganze Welt vor die Hunde geht?«, fragte Royce.
»Genau.«
»Und was bitte
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