Die Kandidaten
nahm nach beinahe einer Stunde auf den
Beinen wieder seinen Platz ein und erhielt ausgedehnte stehende
Ovationen. Trent Waterman, der solche Zurschaustellungen
nicht schätzte, erhob sich und verließ die Bühne.
»Ich dachte, du wolltest dich den stehenden Ovationen nicht
anschließen?«, sagte Fletcher zu seinem Freund, als sie den Saal
verließen. »›Nur weil es alle anderen in den letzten zehn Jahren
getan haben, heißt das noch lange nicht, dass ich diesem Ritual
folge‹, lauteten deine Worte, wenn ich mich recht erinnere.«
»Ich gebe zu, ich habe mich geirrt«, räumte Jimmy ein. »Es
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war noch beeindruckender, als mein Vater es beschrieben hat.«
»Ich bin sicher, dein Applaus war eine Erleichterung für Mr
Waterman«, sagte Fletcher, als Jimmy eine junge Frau mit
zahlreichen Büchern im Arm entdeckte, die nur wenige Schritte
vor ihnen ging »Jede Gelegenheit ergreifen«, flüsterte er
Fletcher ins Ohr. Fletcher fragte sich, ob er Jimmy davon
abhalten sollte, sich komplett zum Narren zu machen, oder ob er
es ihn auf die harte Tour herausfinden lassen sollte.
»Hi, ich bin Jimmy Gates. Darf ich Ihnen mit Ihren Büchern
helfen?«
»An was denken Sie da, Mr Gates? Wollen Sie sie tragen oder
sie für mich lesen?«, erwiderte die Frau, ohne langsamer zu
werden.
»Ich dachte, ich fange damit an, sie zu tragen, und dann
schauen wir einfach, wie es sich entwickelt.«
»Mr Gates, ich habe zwei Regeln, die ich stets beachte: Ich
gehe nicht mit einem Erstsemestler aus und ich gehe nicht mit
einem Rothaarigen aus.«
»Denken Sie nicht, dass die Zeit gekommen ist, um mit beiden
Regeln auf einmal zu brechen?«, schlug Jimmy vor.
»Schließlich hat der Rektor uns gerade gesagt, wir sollten uns
niemals vor neuen Herausforderungen fürchten.«
»Jimmy«, warf Fletcher ein, »ich denke …«
»Ah ja, das ist mein Freund Fletcher Davenport. Er ist sehr
schlau. Er könnte Ihnen also beim Lesen helfen.«
»Ich denke nicht, Jimmy.«
»Und er ist auch sehr schüchtern, wie Sie sehen.«
»An Schüchternheit scheinen Sie nicht zu leiden, Mr Gates.«
»Ganz sicher nicht«, wehrte Jimmy ab. »Wie heißen Sie
übrigens?«
»Joanna Palmer.«
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»Dann sind Sie offenbar nicht im ersten Semester, Joanna?«,
mutmaßte Jimmy.
»Nein, bin ich nicht.«
»Also sind Sie die ideale Person, um mir beizustehen.«
»An was denken Sie da?«, fragte Miss Palmer, während sie die
Stufen zur Sudler Hall hinaufstiegen.
»Warum laden Sie mich heute Abend nicht zum Essen ein,
dann können Sie mir alles erzählen, was ich über Yale wissen
sollte«, schlug Jimmy vor, als sie vor dem Vorlesungssaal zum
Stehen kamen. »He«, sagte er zu Fletcher gewandt, »sollten wir
nicht sowieso hierher?«
»Ja, sollten wir. Und ich habe versucht, dich zu warnen.«
»Mich warnen? Wovor?«, fragte Jimmy, als er die Tür für
Miss Palmer öffnete und ihr rasch in den Saal folgte, in der
Hoffnung, sich neben sie setzen zu können. Die Studenten
brachen abrupt ihre Gespräche ab, was Jimmy überraschte.
»Ich muss mich für meinen Freund entschuldigen, Miss
Palmer«, flüsterte Fletcher, »aber ich darf Ihnen versichern, dass
er ein Herz aus Gold besitzt.«
»Und auch die Nerven, die er dafür braucht, wie es den
Anschein hat«, erwiderte Joanna. »Verraten Sie es ihm nicht,
aber es hat mir ungeheuer geschmeichelt, dass er mich für eine
Erstsemestlerin hielt.«
Joanna Palmer legte ihre Bücher auf das große Pult und drehte
sich zu dem gefüllten Vorlesungssaal. »Die Französische
Revolution ist der Wendepunkt in der modernen europäischen
Geschichte«, erzählte sie dem hingerissenen Publikum.
»Obwohl Amerika bereits einen Monarchen entthront hatte«, sie
hielt kurz inne, »ohne ihn dafür gleich zu köpfen …« Ihr Blick
schwenkte über die Sitzreihen, während ihre Studenten lachten,
dann kam er auf Jimmy Gates zu ruhen. Er blinzelte ihr zu.
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*
Sie hielten sich an der Hand, während sie zu ihrer ersten
Vorlesung über den Campus liefen. Im Verlauf der Proben zum
Stück waren sie ein Paar geworden, bereits untrennbar in der
Aufführungswoche. Und beide hatten ihre Unschuld in den
Frühlingsferien zusammen verloren. Als Nat seiner Geliebten
mitteilte, dass er nicht nach Yale, sondern zu ihr an die
University of Connecticut gehen würde, empfand Rebecca
Schuldgefühle, weil diese Nachricht sie so glücklich machte.
Susan und Michael Cartwright mochten Rebecca vom
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